Sonntag, 28. Juni 2020

An einen ausgetretenen Katholiken

Ein Freund hat mir geschrieben, daß er aus der katholischen Kirche ausgetreten ist und nun in einer Pfingstkirche geistliche Heimat gefunden hat, weil dort das Evangelium ernstgenommen und gelebt werde.


Meine Antwort:


Ich kann gut nachvollziehen, daß Du in Deiner Suche nach geistlicher Wahrheit und Aufrichtigkeit bei einer Pfingstkirche eine neue Heimat gefunden hast, und habe allen Respekt vor Deiner Entscheidung. Die Grenzen laufen heutzutage ja weniger zwischen den Konfessionen sondern eher mitten durch sie hindurch. Es geht, wie Du schreibst, um die persönliche Entscheidung zu Christus und die lebendige Beziehung zu Ihm. Du weißt ja, daß auch ich mit dem „katholischen Laden“ ringe, damit aber eben um die Kirche, von der ich nicht lassen kann und will.


Ich schreibe Dir im Folgenden einige Gedanken, nicht um Dich zu bekehren, vielleicht eher, um mich dessen zu vergewissern, was ich liebgewonnen, für wahr erkannt habe und nicht verlieren will. Das ist in aller geistlich-menschlichen Sympathie und Ehrfurcht vor Deinem Weg gemeint. Denn der Geist weht, wo er will. 


Für mich ist das inkarnatorische Wesen der Kirche entscheidend. Sie ist eine Frucht der Fleischwerdung Gottes und aus dem offenen Herzen Jesu am Kreuz geboren. Ihre amtliche Gestalt ist von Christus begründet, z. B. in der Auswahl und Bevollmächtigung der Apostel (Bischöfe), in der Übertragung einer besonderen Vollmacht des Einheitsdienstes an Petrus (Papst), in der Zusage Christi an die Apostel (nicht alle Jünger!): „Empfangt den Heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten.“ u.v.a.m.


Die fromme Konzentration auf die Bibel der (im weitesten Sinne) protestantischen Christen beeindruckt mich sehr. Aber ich kann bei aller Hochachtung nicht ausblenden, daß die Bibel ein Buch der Kirche ist: Bischöfliche Synoden haben den Kanon der Bibel festgelegt und damit entschieden, welche der vielen jüdischen und christlichen Bücher zur „Heiligen Schrift“ gehören und welche nicht. Dies geschah, wenn wir an das Wort Christi glauben, im Heiligen Geist, den der Herr in solchen wichtigen Fragen eben den Aposteln, ja besonders dem Petrus verheißen hat. Es waren also „katholische Kleriker“, die den Kanon der Bibel festgelegt haben. Dies geschah sicherlich im Hören auf ihre Gemeinden. Aber das Urteil lag bei dem von den Aposteln geerbten Weiheamt und wurde von den Christen als gültig angenommen.


Natürlich sehe ich das Problem, daß die Apostel- (übrigens auch die Petrus-) Nachfolger oft schwach, ja korrupt sind und es z. T. wohl immer waren. Das ist für mich aber eher ein Argument dafür, daß die katholische Kirche die wahre Kirche Christi ist. Denn nach menschlichen Gesichtspunkten müßte sie ob dieses Führungspersonals längst von der Bildfläche verschwunden sein. Daß es sie gibt, ist für mich ein Gottesbeweis.


Damit kommen wir zum Kern. Es geht um die Sakramentalität, die „Kette der Handauflegungen“ (apostolische Sukzession), das Leiblich-Geschichtliche der Kirche, deren Wesen von einem „jüdischen Wanderrabbi“ vor 2000 Jahren ausgeht, von ihm, seiner Heimat, seinem Volk usw. geprägt ist, und die nach Gottes Willen (und nicht etwa aus blindem Zufall) im Römischen Reich Gestalt annahm und sich (wortwörtlich!) auf dessen Wegen, in dessen Strukturen, Rechtsdenken usw. bis hin zur Form der Liturgie und der Paramente entfaltete. (Von den orientalischen Kirchen gilt das ebenso.) Auf diesem Weg hat sich das Kommen Christi in die Welt („Weihnachten“) fortgesetzt. Er hat seine Kirche dabei immer weiter geboren und gestärkt in den Sakramenten, jenen leiblich-sinnlich-verbindlichen Wirkzeichen seiner Gegenwart: „Da schreitet Christus durch die Zeit in seiner Kirche Pilgerkleid.“ (GL 347,4) Genau darin finde ich geistliche Heimat, Nahrung, Frieden, Trost und auch Widerstandskraft, wiewohl ich an der „real-existierenden“ Kirche leide. 


Mir ist klar geworden, daß Papst und Bischöfe nur dann ein Recht auf meinen „Gehorsam“ (= geistlich-lebendiges Hören) haben, wenn sie mir das Evangelium verkünden. Keiner hat das Recht, mir als Gotteskind etwas anderes „vorzuschreiben“ als Christus, den Heiland und Erlöser. Das ist für einen Katholiken vielleicht eine neue, revolutionäre Erkenntnis. Aber den „Gehorsam“ (das geistliche Hören) will ich im Blick auf die „inkarnatorische“ Geschichtlichkeit der Kirche nicht aufgeben, nichts von dem „anvertrauten Gut“ über Bord werfen. 


Die Kirche trägt geschichtsbedingt einen Rucksack voll mit Erbstücken auf ihrem Rücken, von denen wir heute nicht alle als wertvoll erachten. Diese „Erbstücke“ sind, wie Christus selbst, in einer konkreten historischen Situation „zur Welt gekommen“ und mögen zum Teil heute unverständlich sein. Wegen ihres Wesens kann aber die Kirche und kann auch ich sie nicht als unnötigen Ballast abwerfen. Man kann sie wohlwollend hüten, denn sie haben ja ihren Sinn (gehabt), und die sperrigen Teile - auch das ist kirchliche Tradition - mit einem katholisch-menschlichen Augenzwinkern ehrfurchtsvoll archivieren. Mir scheint es jedenfalls falsch zu sein, sich von dem historischen Erbe zu trennen, das, wie oben dargelegt, zum geistgewirkten Wesen der Kirche gehört. Alles in allem: Ich liebe die Kirche so, wie sie ist - oder trotzdem und gerade deshalb.


Ein ja nur staatlich vollziehbarer Kirchenaustritt stellt nach vorherrschender theologischer und auch meiner Ansicht an sich keinen Bruch mit der Kirche dar. Dieser wäre erst wirklich vollzogen, wenn man ihre historisch (inkarnatorisch) gewachsene Gestalt mit Ämtern und Sakramenten ablehnte und stattdessen „die Bibel zum Papst“ machte. Das wäre für mich ein intellektuell und geistlich nicht verantwortbarer Verzicht und ein Verlust, für den ich keinen erfüllenden Ersatz erkennen kann. 


Nebenbei und ganz persönlich: Gottesdienste mit E-Piano und flammenden Bekenntnissen haben mich noch nie überzeugt. Dann doch lieber ein schlichtes und unaufgeregtes Choralamt. ;-)


Ich hoffe, ich habe Dich mit meinen Gedanken nicht betrübt. In aller Freundschaft werfe ich sie „über den Zaun“, damit wir beide geistlich lebendig und am Ball bleiben, und bin auf Deine Antwort gespannt, wenn Du denn Zeit und Lust dazu hast.

11 Kommentare:

Christian hat gesagt…

Lieber Ulrich,

vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Ich will dir darauf ebenso freundschaftlich und nicht rechthaberisch, sondern im Ringen um die Wahrheit, antworten. Und ich will es, da du deine Antwort öffentlich gemacht hast, ebenfalls öffentlich tun.

Es freut mich, dass du meine Konversionsentscheidung in eine Pfingstkirche nachvollziehen kannst, da ich mich erinnere, dass du ebendiese Kirchen in deinen Aussendungen gelegentlich als Sekten bezeichnet hast. Jahrelang hatte ich den Herrn darum gebeten, mir zu zeigen, was er mit meinem Leben vorhat, und ich rang zwischen einer Berufung zum Opus Dei oder der Idee, als Diakon in der Charismatischen Erneuerung der Katholischen Kirche zu wirken. Dass ich die Taufe im Heiligen Geist, für die ich jahrelang gebetet hatte, dann außerhalb der Katholischen Kirche, bei einem Chapterabend von Christen im Beruf, empfing, ist m.E. ebenso wenig ein Zufall wie der Zeitpunkt: Mitten in der schwersten Krise meines Lebens zeigte mir der Herr mit einer Nachdrücklichkeit und Eindeutigkeit seine Liebe und Gegenwart, dass ich seitdem nie wieder in der Lage war, daran zu zweifeln, dass er wirklich da ist. Und auch alle meine Fragen, wo der Herr mich sehen wollte, waren mit einem Moment beantwortet. Ich wusste, dass ich auch ohne kirchliches Amt ein Zeuge Jesu Christi sein kann und soll - und dass mein Auftrag ist, mich im Rahmen der Vereinigung Christen im Beruf darum zu bemühen, Menschen zu Jesus Christus zu führen.

(Übrigens ist die gesamte Charismatische Erneuerung der Katholischen Kirche in einem Chapter von Christen im Beruf - englisch: Full Gospel Business Men's Fellowship International (FGBMFI) - entstanden, in dem 1967 die ersten Katholiken mit dem Heiligen Geist getauft wurden. Der Papst hat daher 1974 dem FGBMFI-Gründer im Vatikan dafür gedankt, dass die Vereinigung das Leben von Millionen Katholiken so nachhaltig belebt habe.)

Die vom Herrn Jesus geschenkte Taufe im Heiligen Geist ließ mich auch an der Sakramentalität der Kirche insgesamt zweifeln. Ich war zu jener Zeit Firmkatechet. Wenn unser katholischer Bischof unseren Firmlingen die Hände auflegte, so spürten sie im Regelfall nichts; mir hingegen hatte ein aus der Katholischen Kirche ausgetretener Bankkaufmann die Hände aufgelegt - und ich war anderthalb Wochen lang erfüllt mit der Gegenwart Gottes. (Das war so unbeschreiblich (schön), dass ich noch heute nur in Dankbarkeit vor dem Herrn niederknien möchte.) Es machte mir sehr klar, dass, wenn Gott auch Steine zu Kindern Abrahams erwecken kann (Matthäus 3:9), ER auch Menschen jenseits der angeblichen apostolischen Sukzession zu lebendigen Zeugen Christi berufen kann. (Und interessanterweise geschieht diese Berufung offensichtlich durch die Taufe im Heiligen Geist, wie es ausdrücklich nur zwei Verse später, in Mt 3:11, heißt.)

Der Heilige Geist führte mich dann in alle Wahrheit ein (Johannes 16:13) und machte mir klar, dass es im gesamten Neuen Testament gar keine Sakramente gibt. Der katholische Begriff der Sakramente geht auf die lateinische Übersetzung von Epheser 5:32 zurück, wonach die Ehe ein großes Geheimnis ist (ein "sacramentum magnum"). Ist es nicht interessant, dass dort im Griechischen das gleiche Wort "mysterion" steht wie auf der Stirn der auf dem Tier reitenden Frau (Offenbarung 17:5), die Kardinalspurpur trägt, einen goldenen Becher in der Hand hält (Offenbarung 17:4), mit den Königen der Erde Unzucht getrieben hat (Offenbarung 18:3) und eine Stadt mit sieben Hügeln repräsentiert (Offenbarung 17:9), aus der man hinausgehen soll (Offenbarung 18:4)?

Christian hat gesagt…

Fortsetzung 1:

Dass die erst im Trienter Konzil definierten "Sakramente" nicht, wie es dogmatisch behauptet wird, "ex opere operato" wirken können, sieht man daran, dass es etwa bei der Krankensalbung nicht nur auf den Vollzug der Handlung ankommt, sondern auf die Disposition des Spenders, der im Glauben und "ernstlich" beten und "gerecht" sein soll (Jakobus 5:15.16.17). Auch gibt es bestimmte "Sakramente" nach der Bibel gar nicht: so etwa die Firmung, was nicht weiter verwundert, weil es ja auch die Babytaufe, die sie komplettieren soll, nicht gibt; ebenso wenig gibt es im NT ein Sakrament der Priesterweihe. Findest du es nicht auch erstaunlich, dass es im gesamten Neuen Testament keine einzige Person gibt, die als Amtspriester identifiziert wird - vom Hohepriester Jesus Christus mal abgesehen? Und dies, obwohl das Alte Testament von Priestern doch nur so wimmelt! Stattdessen sind wir nach dem NT alle Priester (1. Petrus 2:5). Der Vorhang des Tempels ist zerrissen, und alle wiedergeborenen Christen haben Zutritt zum Thron der Gnade (Hebräer 4:16) und brauchen keinen anderen Vermittler - keine Priester und keine "Heiligen" - außer Jesus Christus selbst (1. Timotheus 2:5).

Auch ist die Kirche nicht auf den Felsen Petrus gebaut. In Matthäus 16:18 steht "petra" ("Kieselstein"), nicht "petros" ("Fels"), als der in der Bibel allein Gott bezeichnet wird. Die Kirche ist auf alle zwölf Apostel gebaut (Epheser 2:20; Offenbarung 21:14). Petrus war nur "Mitältester" (1. Petrus 5:1), der auch nicht unfehlbar war (wie der Antiochenische Zwischenfall zeigt; Galater 2:11 ff.). Sein "Lehramt" brauchen wir auch ausdrücklich nicht, weil wir als Gesalbte (eben als "Christen") "niemand nötig (haben), der euch lehrt" (1. Johannes 2:27). Und auch seine Binde- und Lösegewalt teilt Petrus gemäß Matthäus 18:18 mit den "Jüngern" (so steht es ausdrücklich in Matthäus 18:1) und nicht, wie Du schreibst, nur mit den Aposteln.

Ein gewisses Fragezeichen hatte ich lange Zeit noch wegen Johannes 20:23, ob man nicht doch einem Vertreter der Kirche seine Sünden beichten müsse (zumal die Beichte mir selbst eigentlich immer gut getan hatte). Aber die Personen, die im Abendmahlssaal anwesend waren, waren keineswegs nur die Apostel, sondern, wie es ausdrücklich heißt, "die Jünger" (Johannes 20:19) - ein Terminus, der eine größere Personengruppe bezeichnet als die Apostel allein (denn die Apostel wurden aus dem Kreis der Jünger erwählt; Lukas 6:13). Lukas (24:33) vermerkt explizit, dass im Abendmahlssaal, als Jesus die Worte von der Sündenvergebung sprach, keineswegs nur die Apostel zugegen waren, sondern "die Elf und ihre Gefährten". Interessanterweise gibt es im gesamten NT auch keinen einzigen Fall, in dem ein Sünder seine Sünden einem Apostel beichtet. Auf die Frage, wie man Vergebung der Sünden erlangen kann, sagt Petrus nicht, dass man bei einem Apostel (oder gleich bei ihm selbst) beichten soll, sondern dass man Buße tun - also zu Jesus umkehren - müsse (Apostelgeschichte 2:38). Simon dem Zauberer sagt er in Apostelgeschichte 8:23 nicht "ICH vergebe dir", sondern, dass dieser seine Sünden Gott bekennen soll. Und das ist ja auch im Einklang mit der allgemeinen Lehre des NT: Sünden werden nicht wegen einer Beichte vergeben, sondern durch den GLAUBEN an Jesus (Johannes 3:18; Apostelgeschichte 10:43) und neuerliche Sünden durch das Bekenntnis der Sünden vor Gott (1. Johannes 1:9).

Christian hat gesagt…

Fortsetzung 2:

Nun ahne ich, dass Du mir auf alles das erwidern wirst, dass nach katholischem Verständnis eben nicht nur die Bibel im Sinne des protestantischen Sola Scriptura Grundlage des Glaubens sei, sondern auch die "Tradition". Aber ebendiese Glaubensquelle wird von der Bibel ausdrücklich ausgeschlossen. Nach Judas 3 war schon zur Zeit des NT der Glaube den Christen "ein für alle Mal" übergeben. Die Idee, dass sich der Glaube durch Überlieferung weiterentwickelt, ist der Bibel offenkundig fremd. Nach 2. Timotheus 3:16.17 ist der Mensch durch die Schrift "GANZ zubereitet" und "zu jedem guten Werk VÖLLIG ausgerüstet", so dass wir in ihr alle für Rechtfertigung vor Gott nötigen Informationen haben. In 1. Korinther 4:6 fordert Paulus sogar ausdrücklich dazu auf, „nicht über das hinauszugehen, was geschrieben steht“. Offenbarung 22:18 verbietet zudem, den Dingen in diesem Buch (Offenbarung) und damit zumindest indirekt auch denen in der Bibel insgesamt etwas hinzuzufügen. Ist das alles nicht genau Sola Scriptura – dass die Schrift allein die Grundlage zu sein hat?

Zu meiner Zeit als Katholik bezog ich mich immer auf Johannes 21:25 und 2. Thessalonicher 2:15, um die katholische Tradition als Glaubensquelle neben der Bibel heranzuziehen. Aber in der Johannes-Stelle geht es um „andere Dinge, die Jesus getan hat“, als er auf Erden war. Um „unfehlbare“ Lehrentscheidungen von Päpsten der Neuzeit (also Handlungen, die nicht von Jesus stammen) zu legitimieren, taugt diese Stelle also offensichtlich nicht. In 2 Thessalonicher 2:15 geht es zudem darum, an schriftlichen oder mündlichen Überlieferungen „festzuhalten“ – also um schriftliche oder mündliche Äußerungen, die seinerzeit schon getätigt worden waren, aber offensichtlich nicht um z.B. dogmatische Lehraussagen zu Maria, die Päpste im 19. oder 20. Jahrhundert einmal machen würden.

Und was schließlich das von dir angesprochene E-Piano und die flammenden Bekenntnisse im Gottesdienst angeht, so kann ich nur erwidern, dass ich gelernt habe, dass Beten allgemein ein persönliches Sprechen mit dem Herrn ist und nicht das Aufsagen oder Vorlesen von Gebeten. Wenn ich meinem barmherzigen Vater sagen will, wie sehr ich ihn liebe, dann sage ich ihm doch nicht ein Gedicht auf, das ein Anderer geschrieben hat, ich sage es ihm auch nicht in einer Sprache, die heute keiner mehr spricht (das wäre ein direkter Widerspruch zu 1. Korinther 14:9), und ich lasse es ihm auch nicht durch einen Dritten sagen ("auf die Fürsprache des Heiligen XY"). Vielmehr sage ich es IHM gern ganz individuell und persönlich, und ich freue mich, dass es in den Gottesdiensten vieler freier Gemeinden auch so gehandhabt wird. Oder bist du ernsthaft der Meinung, dass die "Messe aller Zeiten", die ja eigentlich aus dem Mittelalter stammt, irgendeine auch nur entfernte Ähnlichkeit mit einem Gottesdienst gemäß 1. Korinther 14:26 ff. hat, wo jeder etwas anderes (einen Psalm, eine Lehre, eine Sprachenrede oder eine Offenbarung) mitteilt, wo Personen in Sprachen mit Auslegung oder prophetisch reden und es von den anderen beurteilen lassen, wo Personen Offenbarungen mitteilen ("flammende Bekenntnisse"?) und einer nach dem anderen weissagt? Auch hier geht es nicht um persönliche Vorlieben, sondern um schlichten Gehorsam gegenüber dem lebendigen Gott und seinem Wort.

Herzliche Grüße
Christian

ad tiliam hat gesagt…

Lieber Christian!

Geht es bei den Sakramenten darum, etwas zu spüren und nicht vielmehr darum zu glauben, auch wenn man nichts spürt? Das Gefühl ist flüchtig und hängt unter anderem von Wetter, Hormonlage, Verdauung u.a. ab. Ein gutes Gefühl (Glück, Trost) ist wunderbar - ich bitte den Herrn auch um dieses emotionale „tägliche Brot“. Er läßt mich dahingehend übrigens nicht verhungern. Was aber, wenn, aus welchen der o.g. Gründen auch immer, das Gefühl ausbleibt? Bleibt dann auch die Gnade aus?

Auch Tiere haben Gefühle (Instinkt) und werden ganz von ihnen geleitet. Der Mensch unterscheidet sich von ihnen durch den Verstand, der ihn gottebenbildlich macht. Also ist der Glaube (auch und vor allem) eine Verstandessache. Den glücklichen Menschen mögen die emotionalen Quellen im Glauben sprudeln, den anderen wird der schmale Weg des Verstandes und der Entscheidung gewiesen (vgl. Mt 7, 13).

Im NT ist klar erkennbar, daß die amtlich-sakramentale Seite des Glaubens der persönlich-charismatischen objektivierend und korrigierend an die Seite tritt und den Vorrang bekommt. Es kennt "Amtspersonen" und Lehramt (vgl. Apg 15). Die herausragende Rolle des Petrus im Apostelkreis, aus der sich der päpstliche Primat entwickelt hat, ist deutlich (vgl. Mt 16,18, Joh 21,15f, Lk 22,31, Mk 1,16, Mt 4,8, Mt 10,2, Mk 3,16 Lk 6,14 u.v.a - http://kathpedia.com/index.php/Primat).

Im NT gibt es klare Belege für Sakramente/Mysterien: Man findet sie (v.a. in der Apostelgeschichte) für Taufe, Firmung, Eucharistie, Weihe und Amtsvollmacht. Das ist hier natürlich dogmatisch noch nicht voll entfaltet, aber man erkennt den Ursprung und die Kontinuität. (Vgl. hier: http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_P37.HTM)

Du weist auf den Unterschied des lateinischen „sacramentum“ zum griechischen „mysterion“ hin. "Sacramentum" kommt in der Tat aus der römischen Militärsprache und bedeutet dort „Fahneneid“. Aber die Wurzel von "sacramentum" ist „sacer“ (heilig). Der Römer war eben nüchterner als der Grieche - auch im Verhältnis zu seinen Göttern...

Natürlich beichtet im NT niemand einem Apostel seine Sünden, und in der Tat: "Der Hl. Joseph hat nun einmal nicht den ersten Beichtstuhl gezimmert"... (https://www.geist-und-leben.de/component/docman/doc_download/1245-27-1954-6-435-446-rahner-0.html) Ich sehe freilich keinen Gegensatz von Beichte und Glauben, denn erstere ist kirchlicher Vollzug des letzteren - und dies nach meiner bescheidenen Kenntnis und cum grano salis seit urchristlicher Zeit.

Zur Marienverehrung: Wenn Gott von einer Frau empfangen, geboren, gestillt, gewickelt, geliebt und in das Leben und den jüdischen Glauben geführt werden wollte, hat das eine große Bedeutung für meinen Glauben an ihn: Er hat sich in eine geschichtliche Zeit und menschliche Gebundenheit hineinbegeben. Lenkt das nicht den Blick auf seine Mutter? Das haben die Christen, angefangen bei der ersten Marienverehrerin (vgl. Lk 11, 27) und dem Evangelisten Lukas, von Anfang an so gesehen. Im Johannesevangelium steht, daß Christus am Kreuz den Jünger und seine Mutter einander anvertraut hat. Das ist in diesem großartige komponierten Text an dieser Stelle sicher keine Randbemerkung. Von frühester Zeit an hat die Kirche sich selbst in diesem Jünger gesehen.

Neben der "Gottesgebärerin" sind da die vielen anderen Heiligen, sind da die Gemeinschaft der Weltkirche, die große geistliche und intellektuelle Weite der katholischen Intellektuellen, die berührenden Bekehrungen von großen Denkern usw... Worin besteht der Gewinn, darauf zu verzichten?

Christian hat gesagt…

Lieber Ulrich,

die „Sakramente“ wirken nach katholischer Lehre „ex opere operato“ – also durch bloßen Vollzug einer Handlung. Aber ebendies ist der Bibel fremd, wie ich dir anhand von 1. Johannes 5 aufgezeigt habe. Vielmehr kommt es – entgegen der katholischen Auffassung – nach der Bibel darauf an, dass der Spender des Sakraments „gerecht“ ist und wirklich „im Glauben“ betet.

Man kann die Geistesgaben natürlich einfach abtun, dass es nicht auf ein Gefühl ankomme. Aber nach der Bibel haben alle Personen, die den Heiligen Geist empfangen haben, im gleichen Moment gewusst, dass sie ihn empfangen hatten; es gibt keinen einzigen Fall im NT, in dem jemand den Heiligen Geist empfängt – und das nicht bemerkt hat. Bei meinen Firmlingen war es seinerzeit umgekehrt: Ich erinnere mich an niemanden, der eine Veränderung gespürt hätte. In Apostelgeschichte 8 hingegen bemerkten sogar die Umstehenden, dass sich etwas in den mit dem Geist Getauften veränderte. Diese Veränderung war so deutlich, dass Simon der Zauberer Petrus und Johannes diese „Zauberei“ abkaufen will.

Bei mir selbst war es so, dass ich nach der Handauflegung und dem Gebet um den Heiligen Geist etwa anderthalb Wochen die Gegenwart des Herrn spürte, seitdem aber dauerhaft als Mensch verändert bin:
• Ich habe seitdem eine viel tiefere Liebe zum Herrn und ein starkes Verlangen nach dem Wort Gottes.
• Ich habe seitdem die Gabe, in Sprachen zu reden, was mich – etwa in Zeiten der Depression – auferbaut (wie es in 1. Korinther 14,4 steht).
• Mir war seitdem mit einem Moment klar, was der Herr mir zu tun auferlegte;
• und ich empfing die Kraft (Apostelgeschichte 1,8), die ich dazu brauchte.

Ich kann seit dem 29.5.15 schlicht nicht mehr an Gott glauben; vielmehr WEISS ich, dass ER wirklich da ist. Die Taufe im Heiligen Geist schenkt viel mehr als ein Gefühl (das allerdings unbeschreiblich schön ist); sie verändert dich als Person. Und die Salbung, die der Herr durch sie schenkt, bleibt auf Dauer in uns (1. Johannes 2,27). Genau so habe ich es erlebt.

Christian hat gesagt…

Die von dir zitierten Ämter in Apostelgeschichte 15 sind die der „Apostel“, deren Amt nach der Bibel auf die Zwölf plus Matthias und Paulus beschränkt war, und die der „Ältesten“ (Apostelgeschichte 15,2), die es in jeder Gemeinde gab (und es heute deshalb in jeder freien Gemeinde gibt). Beauftragungen für diese Ämter wurden aber weder durch den „Papst“ Petrus noch durch „Priester“ gefasst, sondern „wir, die wir einmütig versammelt waren, beschlossen, Männer zu erwählen und zu senden“ (Apostelgeschichte 15,25). Gerade das von dir zitierte Kapitel aus der Apostelgeschichte zeigt, dass es sich hier nicht um ein „Weihesakrament“ handelt oder eine „apostolische Sukzession“.

Und wenn Petrus doch Papst in Rom war und eine so herausragende Stellung hatte, wie kann es übrigens sein, dass Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom (Römer 16) buchstäblich Hinz und Kunz grüßt, aber ausgerechnet nicht den "Papst" Petrus?

Mir ist zudem nicht klar, wie du auf der einen Seite sagen kannst, dass „natürlich“ niemand im Neuen Testament eine Beichte abgelegt habe, und zugleich, dass diese Praxis „seit urchristlicher Zeit“ bestehe. „Urchristlicher“ als das Neue Testament geht es doch wohl kaum!

Wenn man Christ werden will, muss man nach der Bibel nicht bei einem Priester beichten (denn Amtspriester gab es im NT ja auch nicht), sondern Jesus „annehmen“ (Johannes 1,12; Kolosser 2,6) durch den Glauben. Es bedarf einer Einstellungsänderung („metanoia“; Apostelgeschichte 2,38). „Aus Gnade“ sind wir „gerettet durch den Glauben“ (Epheser 2,8; Apostelgeschichte 15,11) und „nicht aus Werken“ (Epheser 2,9) – und damit offensichtlich auch nicht „aus dem vollzogenen Werk“ („ex opere operato“) eines Sakraments.

Und noch einmal: Warum steht (in Offenbarung 17) ausgerechnet „mysterion“ („Sakrament“, „Geheimnis“) auf der Stirn der Frau auf dem Tier, die mit Rom identifiziert wird?

Christian hat gesagt…

Und noch ein paar Worte zur angesprochenen Verehrung von „Heiligen“ (und Engeln):

• Die Bibel verbietet ganz allgemein, sich überhaupt an „Verstorbene“ zu wenden („Es soll niemand unter dir gefunden werden, … der sich an die Toten wendet. Denn wer so etwas tut, ist dem Herrn ein Gräuel“; 5. Mose 18,10-12). Es gibt in der ganzen Bibel nicht einen einzigen Fall, in dem jemand zu jemand anderem betet als Gott.

• Die Bibel verbietet auch die (vom Trienter Konzil empfohlene) Verehrung von Statuen aller Art (5. Mose 5,8-9). Das Verbot der Bilderverehrung ist in der Bibel ja eigentlich das zweite der Zehn Gebote. In der heute bekannten Liste ist dieses zweite Gebot merkwürdigerweise aus den Zehn Geboten verschwunden, während das biblisch zehnte Gebot in zwei Einzelgebote aufgespalten wurde.

• Die Bibel verbietet zudem die (von der Katholischen Kirche ausdrücklich lehramtlich empfohlene) Verehrung von Engeln („Lasst nicht zu, dass euch irgendjemand um den Kampfpreis bringt, indem er sich in Demut und Verehrung von Engeln gefällt“; Kolosser 2).

• Jesus verbietet sogar ganz explizit die Verehrung seiner Mutter Maria. Es gibt im NT eine Stelle, wo eine Frau Maria preisen will und sagt: „Glückselig ist der Leib, der dich getragen hat“. Jesus akzeptiert das aber nicht. Es heißt dort: „Er aber sprach: Glückselig sind vielmehr die, die Gottes Wort hören und es bewahren!“ (Lukas 11,27-28). Jesus weist eine Verehrung seiner Mutter also zurück – und verweist als Gegensatz dazu („aber“, „vielmehr“) darauf, dass man dem Wort Gottes gehorsam sein solle.


In der Marienverehrung verbergen sich darüber hinaus zahlreiche Ungereimtheiten und Verfälschungen der biblischen Wahrheit:

• Maria ist nach der (unfehlbaren) Lehre der Katholischen Kirche die größte aller Heiligen. Jesus sagt dagegen: „Unter denen, die von Frauen geboren sind, ist kein Größerer aufgetreten als Johannes der Täufer“ (Matthäus 11,11). Wie konnte er hier nur seine Mutter vergessen?

• Die „Frau, mit der Sonne bekleidet“ aus Offenbarung 12 ist nach katholischer Lehre (und nach dem offenkundigen Kontext des biblischen Textes) Maria, die nach dem Dogma von 1854 zudem „unbefleckt“ – ohne Erbsünde – ist. Nach der Schrift aber war diese Frau „schwanger und schrie in Wehen und Schmerzen der Geburt“ (Offenbarung 12,2) – was eine Folge der Erbsünde ist (1. Mose 3,16). Beides zugleich aber kann nicht sein: Entweder das katholische Dogma (und damit auch die Marienerscheinung in Lourdes 1858) ist falsch, oder die Frau aus Offenbarung 12 ist nicht Maria!

• Die Päpste seit Gregor XVI. empfehlen die Verehrung der „Wundertätigen Medaille“. Sie geht auf eine angebliche Marienerscheinung von 1830 zurück (http://www.kathpedia.com/index.php/Wundert%C3%A4tige_Medaille). Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass hierauf Maria der Schlange den Kopf zertritt. Nach Genesis 3,15 ist es aber JESUS (der "Same der Frau") und nicht Maria, der der Schlange den Kopf zertritt. Ist das nicht ein komplett anderes Evangelium, wenn Maria als Überwinderin der Schlange (also des Teufels) dargestellt wird und nicht unser Erlöser? Und wie kann es sein, dass die „unfehlbaren“ Päpste die Falschheit der Aussage nicht nur nicht erkannten, sondern die "Seherin" dieses falschen Evangeliums (Catharine Labouré) sogar heilig sprachen?

ad tiliam hat gesagt…

Lieber Christian!

Eine biblizistische Debatte führt uns nicht weiter. Wir würden aneinander vorbeireden: Für Dich ist die Bibel die höchste Autorität. Für mich ist sie ein Buch der Kirche (da habe ich die Kirchengeschichte auf meiner Seite): Die Kirche (!) hat beschlossen, die Bibel als ihr heiliges Buch zu kanonisieren. Dabei war nach meinen bescheidenen Kenntnissen ein ausschlaggebendes Kriterium, welche Bücher in den verschiedenen Gemeinden in der Liturgie gelesen wurden. Der Kanon der Bibel kommt also aus der Kirche und nicht zuletzt aus ihrer sakramentalen Praxis.

Die Bibel gegen die Kirche und ihre Tradition in Stellung zu bringen, ist für mich historisch, intellektuell und geistlich nicht nachvollziehbar.

Diese Kirche, die die Bibel „herausgegeben" hat, hat darüber hinaus immer den Glauben erklärt und, wenn bei Konflikten nötig, auch geklärt. In diesem Prozeß hat sie unter anderem Katechismen veröffentlicht (aktuell: http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_INDEX.HTM). Hier findet sich Klärendes zu den von Dir angesprochenen Problemen (Maria, Heilige, Engel usw.). Vgl auch hier: http://www.kathpedia.com/index.php?title=Enchiridion_symbolorum)

„Reformatoren“ bis hin zu den „Zeugen Jehowas“ haben Bücher aus der Bibel gestrichen. Warum soll ich denen glauben? Was, wenn ein Mensch, der sich vom Heiligen Geist bewegt glaubt, noch weiteres für nichtig erachtet? Dann ist auch die Bibel nicht mehr die Autorität.

Es läuft auf diese Frage hinaus: Ist die Kirche von Gott als menschlich-sozial-historische Größe gegründet und hat im Heiligen Geist Entscheidungsvollmacht, oder ist nur der einzelne Mensch von Gott angesprochen, der sich dann gegebenenfalls mit anderen zu "Kirchen" verbindet?

Das Verhältnis "Kirche-Mensch" ist aus katholischer Sicht kein Widerspruch. (Papst Benedikt XVI: „Es gibt so viele Wege zum Himmel, wie es Menschen gibt.“) Es gibt hier sogar das Gebot, seinem Gewissen zu folgen, selbst, wenn es irrt. Doch die Kirche sieht sich als als "Leib Christi", "heiliges Volk" und Trägerin der von Christus eingesetzten heiligen Tradition, die allen Menschen zu ihrem Heil angeboten ist. Und der Glaube an Gott schließt die "eine, heilige, katholische und apostolische" Kirche ein (Nizänokonstantinopolitanisches Glaubensbekenntnis). Das Attribut "apostolisch" scheint mir für unsere Debatte übrigens entscheidend zu sein.

Die reformatorischen Gemeinschaften machen theoretisch jeden zu seiner eigenen Kirche, und die Bibel zu seinem "Papst“. Darin kann ich keinen Gewinn sehen und bleibe lieber (u. a. um der intellektuellen Redlichkeit willen) katholisch. (Vielleicht liegt das nur daran, daß ich bisher keine übersinnlichen Erfahrungen gemacht habe.)

Christian hat gesagt…

Lieber Ulrich,

schade, dass du einer inhaltlichen Diskussion ausweichst.

Nehmen wir einmal an, du und die Katholische Kirche hätten recht und die „Tradition“ (wie auch immer man sie definieren mag) und die Bibel seien gleichermaßen das Wort Gottes (in Menschenwort). Wie kann es dann sein, dass beide Quellen in zahlreichen Fällen (einige habe ich oben aufgeführt) einander widersprechen? Hier einige Beispiele:

• Die Schrift sagt, es gibt nur einen einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich unseren Herrn Jesus (1. Tim 2,15); die Tradition hingegen hält auch Maria für eine „Mittlerin“ (Zweites Vatikanum, Lumen Gentium 62).

• Die Schrift sagt, dass ALLE Menschen gesündigt haben und es nicht einen gebe, der nur Gutes getan habe (Röm 3,12); die katholische Tradition sagt, dass es mit Maria eben doch so einen sündlosen Menschen gegeben habe.

• Die Schrift verflucht (in Gal 1,9) alle, die ein anderes Evangelium lehren, als dass „der Mensch nicht aus Werken des Gesetzes gerechtfertigt wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus“ (Gal 2,16); die Tradition hingegen verflucht alle („anathema sit“), welche dieses biblische Evangelium lehren (Konzil von Trient, Kanon 14).

• Die Schrift lehrt, die guten Werke seien eine Frucht des Glaubens (1. Joh); die Tradition aber verflucht alle („anathema sit“) alle, die dies sagen (Konzil von Trient, Kanon 24).

• Die Schrift lehrt, dass das Opfer Christi ein für alle Mal erbracht ist (Hebr 7,27) und deshalb allen weiteren Opfer nutzlos sind (Hebr 9,28 und 10,12-18); die Tradition aber lehrt, dass die Messe ein wahres Opfer sei (Konzil von Trient, Sacrosancta Oecumenica).

• Die Schrift lehrt, „ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung“ (Hebr. 9,22); die Tradition lehrt, die Messe sei ein unblutiges Opfer (KKK 1367), das uns von unseren Sünden trennt (KKK 1393).

Die Liste ließe sich fortsetzen.

Wenn die eine Quelle das eine sagt und die andere das Gegenteil und beide Versionen nicht zugleich wahr sein können: Lügt Gott dann in einer der beiden Quellen? Beides zugleich kann nicht das Wort Gottes sein!

Du misst die Schrift offenkundig an der Tradition: Danach wäre die Schrift so zu verstehen, wie die Tradition sie auslegt. Nach der Bibeldagegen ist es jedoch umgekehrt: Es die Schrift, welche die Überlieferung korrigiert (Mt 15,3; Mk 7,13, Apg 17,11). Sola Scriptura war die Methode Jesu, mit welcher er die Überlieferung der Pharisäer widerlegte. Und genau deshalb lohnt die „biblizistische Debatte“ eben doch, macht sie doch genau das, was Jesus getan hat oder die ersten Jünger in Beröa: „sie nahmen das Wort bereitwillig auf und forschten täglich in der Schrift, ob sich's so verhielte“ (Apg 17,11).

Christian hat gesagt…

Es stimmt auch nicht, dass wir die Bibel der Katholischen Kirche verdanken. Die Katholische Kirche im heutigen Sinn gab es zu jener Zeit noch gar nicht. Wir verdanken die Bibel dem Heiligen Geist, der der Urchristenheit lange klar gemacht hatte, dass die Evangelien und die Briefe vom Herrn inspiriert sind. Es war schon in der Urkirche im Wesentlichen klar, was zum Kanon gehört und was nicht. So verlangt bereits die Didache (4,11), die allgemein ans Ende des 1. Jahrhunderts datiert wird: „Du sollst keinesfalls verlassen die Gebote des Herrn; du sollst vielmehr bewahren, was du empfangen hast, weder (etwas) hinzufügend noch wegnehmend.“ – eine Aufforderung, die nur auf dem Hintergrund eines abgeschlossenen Kanons der Schrift und ihrer Gebote sinnvoll interpretierbar ist. Die Synoden von Hippo und Karthago am Ende des 4. Jahrhunderts hatten nur noch festzuschreiben, was ohnehin längst klar war.

Auch ist es falsch, dass die Kirchen der Reformation irgendwelche Bücher des Alten Testaments „gestrichen“ hätten. Die apokryphen Bücher, die nur in der katholischen, nicht aber etwa in der Luther-Bibel enthalten sind (und auf die sich weder Jesus noch das Neue Testament irgendwo bezieht) waren, als die christliche Kirche gegründet wurde, selbst im Judentum noch kanonisiert. Die Festlegung des jüdischen Kanons erfolgte in der jüdischen Synode von Jabne im Jahr 70 n.Chr., zu einem Zeitpunkt also, zu dem die jüdische Religion keine Verbindlichkeit mehr beanspruchen konnte.

Und noch ein Wort zu deiner spöttischen Bemerkung, dass in den christlichen Kirchen jeder sein eigener Papst war. Wenn ich mir die Katholische Kirche ansehe, dann habe ich den Eindruck, dass das Spektrum – von „Wir sind Kirche“ bis zur Piusbruderschaft - kaum homogener ist als in den evangelischen Kirchen. ;-)

ad tiliam hat gesagt…

Lieber Christian,

ich versuche, die inhaltlichen Diskussion auf einer angemessenen Ebene zu führen: Du beziehst Dich in Deiner Argumentation auf "die Schrift" als Autorität, ich auf die Kirche, der Christus den Heiligen Geist und Autorität verliehen hat und die "die Schrift" (die christliche Bibel) in ihrer Tradition kanonisiert hat. Es hat darum keinen Sinn, Schriftzitate gegen die Tradition der Kirche in Stellung zu bringen. (Die Christen glauben ja von der Bibel nicht, was die Mohammedaner vom Koran glauben, der für sie 1:1 vom Himmel herabgesandt und daher nicht hinterfragbar ist...)

Ich greife willkürlich drei Deiner Punkte heraus, um es zu verdeutlichen:

1. Du schreibst: "Die Schrift lehrt, dass das Opfer Christi ein für alle Mal erbracht ist (Hebr 7,27) und deshalb allen weiteren Opfer nutzlos sind (Hebr 9,28 und 10,12-18); die Tradition aber lehrt, dass die Messe ein wahres Opfer sei (Konzil von Trient, Sacrosancta Oecumenica)."
Ich antworte: Nach Christi Kreuzesopfer sind in der Tat alle weiteren Opfer sinnlos im Sinne des Hebräerbriefes, der ja an Judenchristen gerichtet ist. Diese dachten hier an die Opfer im Tempel. Das eigentliche Opfer, das im Ritus des Versöhnungstages vorgebildet war (https://de.wikipedia.org/wiki/Jom_Kippur), ist durch das Opfer Christi erfüllt und abgelöst worden. "Alttestamentlich weiterzuopfern" wäre eine Verhöhnung des Kreuzesopfers.
Da Christus sein Opfer aber am Gründonnerstag sakramental eingesetzt und der Kirche übergeben hat ("Tut dies zu meinem Gedächtnis"), wird es bei der Messe gegenwärtig. Die Kirche (die Gläubigen) vereint dabei ihre eigenen "Opfer" (gläubige Hingabe, Gebet...) mit dem Opfer Christi und bringt sich geistlich (vgl. Röm 12, 1) dankend ("eucharistisch") und betend selbst als "Opfer" dar.
Die Messe ist also kein "weiteres" Opfer im Sinne des Hebräerbriefes. Sondern die Kirche erneuert in ihr im Auftrag ihres Herrn sein Opfer und schließt sich ihm "opfernd" (= "sich hingebend") an. Dabei glaubt sie, daß die Kraft des Opfertodes Christi in jeder Messe genauso wirksam ist, wie damals auf Golgotha, und "immer neu" wirkt.

2. Du schreibst: "Wenn die eine Quelle das eine sagt und die andere das Gegenteil und beide Versionen nicht zugleich wahr sein können: Lügt Gott dann in einer der beiden Quellen? Beides zugleich kann nicht das Wort Gottes sein!"
Ich antworte: Vgl. dazu Mt 12, 30 ("Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.") und Mk 9, 40 ("Denn wer nicht gegen uns ist, der ist für uns."): Hier und an anderen Stellen widerspricht "die Schrift" sich selbst. Vgl. die vier Evangelien: Sie stellen das Leben Jesu in historisch widersprüchlicher Weise dar.
"Sola scriptura!" ("allein die Schrift") hilft hier nicht weiter, denn die Schrift legt sich nicht selbst aus, wie es Luther fromm hoffte. "Tota scriptura!" ("die ganze Schrift") sagt die katholische Kirche, und dazu bedarf es der kirchlichen Theologe und im Notfall des Lehramtes, um Widersprüche aufzuklären und Spaltungen zu heilen.

3. Du schreibst, es sei "falsch, dass die Kirchen der Reformation irgendwelche Bücher des Alten Testaments „gestrichen“ hätten.
Ich antworte: Das stimmt nicht: Luther hat nur die hebräischen Bücher aus dem AT übernommen und die (griechischen) "Apokryphen" mit der Vorbemerkung: "Das sind Bücher, so der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten und doch nützlich und gut zu lesen sind" aus dem biblischen Kanon gestrichen und zu frommen Texten herabgestuft. Die calvinistischen Traditionen (z. B. Zürcher und Elberfelder Übersetzung) haben diese Bücher ganz verworfen.

So wenig und so kurz für heute. Ich freue mich über unseren Disput.