Mittwoch, 26. Mai 2021

"Sie war eine Priesterin"

Zur Frage der Frauenpriesterweihe habe ich als Kaplan in Kirchhellen in einer "konfliktiven" Situation den folgenden Vortrag gehalten und ihn wegen der in diesen Tagen anhaltenden Diskussion überarbeitet:



Das Priestertum der Christen und das Priesteramt in der Kirche 

– Zur Frage der Frauenpriesterweihe – 

von Ulrich Terlinden 

(2003, überarbeitet 2021)


1. Einleitung

„Sie war eine Priesterin“ sagte mir ein mit unserer Familie befreundeter Priester am Tag der Beerdigung meiner Großmutter im Rückblick auf ihr über 88jähriges Leben. Und er hatte recht. Warum meine Oma eine Priesterin war, wie sie es war, und wie nicht – das ist die Frage, die etwas Klarheit in die Diskussion über die Priesterweihe für Frauen bringen könnte. 

Ich habe einmal den Standpunkt vertreten, man müsse Frauen zur Priesterweihe zulassen, denn man dürfe dem Heiligen Geist nicht vorschreiben, wen er zum Priester berufe. Außerdem stellt der Priester am Altar ja für die Gemeinde auch den „Empfangenden“ dar, was sogar dafür spräche, nur Frauen zu Priestern zu weihen. Bis heute finde ich diese Argumente attraktiv.

Mit dieser Frage habe ich mich in Gesprächen mit Mitbrüdern, Glaubensfreunden und Theologen, in der Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift und im Ringen mit der Lehre der Kirche befaßt. Das Lehrschreiben „Ordinatio sacerdotalis“ von Papst Johannes Paul II. von 1994, in dem dieser ein Ende der Diskussion über dieses Thema verfügt, hat mich dann erschrocken. Ich fragte mich, was den Heiligen Vater bewegt hat, zu so einer drastischen Maßnahme zu greifen. Ich fragte mich, dachte nach und fand eine Antwort.

Wir werden uns zunächst Gedanken darüber zu machen haben, was die Kirche ihrem Wesen nach ist, dann sind einige Verhältnisbestimmungen vorzunehmen, so die zwischen Priestertum und Priesteramt, Amt und Charisma, Berufung und Erwählung. Auch über Gefühl und Wahrheit wird zu sprechen sein.


2. Die Kirche: Stiftung des Gottessohnes, der sich für uns dem Vater hingegeben hat

Die Kirche ist von Gottes Sohn gestiftet worden, der für den Vater und für die Seinen lebt. Dieses „Für“ macht sein Wesen aus. Durch seine Hingabe sind wir erlöst und in seinen Leib aufgenommen. Diese Erlösung durch das Lebensopfer Christi kommt aus der Liebe Gottes zu uns: „Alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren. Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus.“ (Röm 3, 23f)

Gott hat sich also in seinem Sohn „für uns hergegeben“, um uns wieder zu ihm zu führen. Dazu ist er Mensch geworden, denn nur als Mensch, als unser Bruder, konnte er den Graben überbrücken, den unsere Sünde geschaufelt hatte.

Seitdem leben wir Christen in einer eucharistischen Wirklichkeit: 

„In Wahrheit ist es würdig und recht, dir, Herr, heiliger Vater, immer und überall zu danken durch unseren Herrn Jesus Christus. Denn er hat Großes an uns getan: Durch seinen Tod und seine Auferstehung hat er uns von der Sünde und von der Knechtschaft des Todes befreit und zur Herrlichkeit des neuen Lebens berufen. In ihm sind wir ein auserwähltes Geschlecht, dein heiliges Volk, dein königliches Priestertum. So verkünden wir die Werke deiner Macht, denn du hast uns aus der Finsternis in dein wunderbares Licht gerufen.“ (1. Sonntagspräfation im Jahreskreis)

Gott hat uns in die Wirklichkeit des neuen Lebens geholt und zu einem priesterlichen Volk gemacht, zu einer Schar der Erlösten, die zur Rettung aller Menschen da ist.

„Priesterlich“ (sazerdotal) bedeutet: „Gott und die Menschen durch das Opfer verbindend“. Dieses verbindende, lebenspendende und heilbringende Opfer ist der Leib Christi. Insofern die Kirche dieser Leib ist, sind alle Christen Priester und bringen das Opfer dar, indem sie „nicht mehr [sich] selber leben, sondern ihm, der für uns gestorben und auferstanden ist.“ (IV. Meßkanon)


Exkurs: Meine Oma

In diesem Sinn war meine Oma (Jahrgang 1910) wirklich eine "Priesterin": Sie war fromm, ging täglich zur Kirche, engagierte sich in der Kirche, bei Kolping und für Bedürftige. Sie betete in der Kirche den Rosenkranz vor. Schon als Mädchen hatte sie bei den "Gemeinschaftsmessen" sogar die Meßtexte auf Deutsch laut vorgetragen, die der Priester auf Latein leise am Altar betete. All das trug ihr in Ruhrort den spöttelnden Spitznamen "Unsere Liebe Frau vom Neumarkt" ein. Übrigens zögerte sie nicht, wenn der Priester in der Messe irgendeinen Unfug gemacht hatte, in die Sakristei zu gehen, mit "Gelobt sei Jesus Christus" zu grüßen und den Priester dann in den Senkel zu stellen.

Sie war für mich eine wunderbare Oma, bei der jeder immer willkommen war und es wunderbar schmeckte. Als ich als Kind bei ihr übernachtete, fragte ich sie vor dem Schlafen, ob sie nicht mit mir beten wolle, so wie ich es von Besuchen bei meiner anderen Großmutter gewohnt war, die immer "Abends, wenn ich schlafen geh" mit mir betete. Ihre Antwort war ernüchternd, befreiend und weiterführend: "Das kannst Du selbst."


3. Priestertum und Priesteramt

a) Apostel und Jünger

Um den Unterschied zwischen dem allgemeinen Priestertum (sacerdotium) und dem besonderen Priesteramt (presbyterium) zu verstehen, hilft ein Blick auf die Berufungen und Erwählungen, die Christus auf Erden getan hat: Sicher einige hundert, wohl eher tausende Jünger waren ihm gefolgt, darunter auffallend viele Frauen. Das war für die damalige Zeit ungewöhnlich, denn die Frauen hatten ihren religiösen Ort nicht in der Öffentlichkeit, noch nicht einmal in der Synagoge, sondern im Haus. Bis heute ist das unter orthodoxen Juden und bei den Muslimen so, und auch die Apostelbriefe, die immer nur die „Brüder“ ansprechen, spiegeln das noch wider, obwohl im Christentum die Frauen in der Liturgie anwesend waren. Für das allgemeine Priestertum der Kirche (sacerdotium) gilt: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer‘ in Christus Jesus.“ (Gal 3, 28) Frauen und Männer hörten den Ruf Jesu „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1, 15), erfuhren in Christus das Heil Gottes und folgten ihm. 

Aus den Jüngern wählte der Herr einige aus und berief sie in seinen besonderen Dienst, und zwar zwölf Männer. (Lk 6, 13) Das machte jedem Juden klar: Jesus sammelt das Volk Israel, das einst aus zwölf, damals aber nur noch aus zweieinhalb Stämmen bestand, und führt es seiner von Gott bestimmten Vollgröße entgegen, denn aus den zwölf Söhnen Jakobs waren ja die zwölf Stämme Israels hervorgegangen. 

Diese Zwölf waren nicht die Begabtesten unter Jesu Jüngern, eher einfache Leute, nicht besonders verläßlich oder loyal, teilweise eher begriffsstutzig oder sogar falsch. Jesus erwählte sie, weil er es wollte. Vielleicht lag sogar in ihrer „Unbegabtheit“ seine besondere Absicht. Und nur mit den „Zwölfen“ hielt er am Gründonnerstag das Letzte Abendmahl. Nicht einmal seine Mutter Maria wird dabei erwähnt.

Jesus galt seinen Feinden als „Fresser und Säufer“ (Mt 11, 19), weil er gerne und oft Mahl hielt, vor allem mit Sündern und Ausgestoßenen. Die Mähler stellten das angebrochene Gottesreich dar: Gottes Nähe heißt Leben in Fülle.

Das Letzte Abendmahl steht in der Reihe dieser Mähler. Es ist ihr Gipfel und unterscheidet sich doch ganz wesentlich, denn jetzt sind nur die „Zwölf“, die „Patriarchen“ des neuen Israel, beim Erlöser, um von ihm nun nicht mehr einfaches Brot zu empfangen, sondern den Leib und das Blut dessen, der tags drauf sterben würde zur Vergebung der Sünden. Es war in seinem Wesen kein Mahl mehr, sondern das Opfer Christi in der sakramentalen Gestalt eines Mahles. 

Nur die Zwölf hörten das Gründungswort der Kirche und die Einsetzung des Priesteramtes (presbyterium): „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“


b) Priesterliches Volk und Priesteramt für das Volk

Alle Christen sind auf Christi Tod getauft und gehen ein in das Opfer Christi immer, wenn sie Eucharistie feiern: 

„O Herr, mit diesen Gaben wir bringen am Altar / uns selbst und was wir haben zu Christi Opfer dar.“ (GL [MS] 734, 2) 

Die Eucharistie ist „der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie „Sacrosanctum Concilium“ 10): Wir leben mit dem, aus dem und für den, der sich hingegeben hat zum Heil der Welt.

Unser Opfer wird nicht aus unserer Leistung erbracht, sondern ist das Lamm, das Gott seiner Kirche als Opfergabe gegeben hat: Jesus Christus als der Gekreuzigte. Dieses Opfer seiner Liebe bleibt gegenwärtig in seiner Kirche. Er hat den Aposteln den Auftrag und die Vollmacht erteilt, in der Kirche lebendig zu halten und sakramental „darzustellen“, was er, das Haupt, „alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28, 20) für seine Kirche tut: Das Amt in der Kirche stellt also dar, daß Christus sich für sie hingibt. Der christliche „Priester“ (presbyter) ist für den (genauer: im) sazerdotalen Leib Christi der „Haupt-Darsteller“, nicht mehr und nicht weniger.

Das Priesteramt, die Weihe, ist als einziges der Sakramente ausschließlich von dem „Für“ des Wesens Christi bestimmt: Es ist das Sakrament „für andere“. Es ist nur für die Kirche wichtig, nicht für den Geweihten. Man wird nicht Priester, weil man will und so sein Heil findet („Im Himmel gibt es keine Priester.“ [J. B. Metz]), sondern weil Gott es will und die Kirche den Kandidaten erwählt zum Heil der Christen.

Es gibt kein Recht auf die Weihe – im Gegensatz zu den anderen Sakramenten. Die Zwölf hatten auch kein Recht, von Christus erwählt zu werden. Die meisten Menschen, die Gott erwählt hat, wollten das gar nicht. (Vgl. Mose, Jona, Amos usw.) Es widerspräche dem Wesen des Dienstamtes, es für sich zu fordern. Man kann die Weihe nicht nehmen oder fordern: Sie wird „gespendet“ – und zwar für die Kirche. 

(NB. Die Forderung, das Priesteramt für Frauen zugänglich zu machen, wird mit den Menschenrechten begründet. Christus aber übte sein Hohepriesteramt am Kreuz aus, als ihm alle Menschenrechte genommen waren.) 

Zum Priestertum (sacerdotium) sind alle berufen. Hier kommt es darauf an, daß ich höre und gehorche. Zum Priesteramt (presbyterium) hingegen werden einige erwählt, und es kommt darauf an, daß diese Erwählung von Gott und der Kirche geschieht. (Weiheliturgie: „Mit dem Beistand unsers Herrn und Gottes Jesus Christus, des Erlösers, erwählen wir diese unsere Brüder zu Diakonen/Priestern.“ – „Dank sei Gott, dem Herrn.“)


4. Amt und Charisma

Manche, die das Priesteramt für Frauen fordern, führen als Argument die besonderen weiblichen Charismen ins Feld. 

Charismen sind besondere Geistesgaben an einzelne und stehen als „subjektive“ Gaben an eine bestimmte Person in einer bestimmten Zeit und Situation neben der „objektiven“, beständigen apostolischen Amtsstruktur der Kirche. Das Amt braucht kein Charisma, damit es wirkt. („Charismatische“ Priester erweisen sich übrigens oft als problematisch, sie zelebrieren die Messe nicht selten in einer sehr persönlich eingefärbten Weise, so daß es vielen Gläubigen schwer ist, mit ihrer vielleicht ganz andern Lebens- und Geistesverfassung diese Messe mitzufeiern.) Es ist Garant für die Objektivität der Gegenwart Christi in seiner Kirche, auch wenn gerade kein Charisma ergeht. Die Objektivität des Amtes und der Liturgie steht dafür, daß die Kirche Stiftung des Herrn ist und er in ihr herrscht. Pointiert gesagt: Je uncharismatischer, „unbegabter“ der Amtsträger ist, desto deutlicher wird, daß unser Heil nicht vom Menschen, von der Person des Priesters oder auch mir selbst abhängt, sondern vom Herrn. 

Heute herrscht weitgehend ein subjektiviertes Liturgieideal. Im Gästebuch der Internetseite „Maria von Magdala“ schrieb eine Frau am 31. März 2003 über ein Treffen im Kloster Helfta: „Es war wieder sehr schön und vor allem unser Gottesdienst sehr lohnenswert [Hervorhebung vom Verf.]. Das sind die einzigen beiden Gottesdienste im Jahr, an denen ich noch mit vollem Herzen teilnehmen kann.“ Hier wird der aktuelle Konflikt um die Liturgie (und damit auch um das Weiheamt) deutlich. 

Doch nicht die Liturgie muß sich uns und unseren Bedürfnissen anpassen, sondern umgekehrt. Das ist das Prinzip der Wandlung. Alles andere führt auf Dauer in eine banale Selbstbespiegelung oder Selbstdarstellung.


5. Gefühl und Wahrheit

Heute stehen persönliches Gefühl und humanwissenschaftliche Erkenntnisse (beides ist hoch zu schätzen) im Konflikt mit der „ewigen“, wenigstens inkarnatorisch-geschichtlich offenbarten Wahrheit. Sicher ist diese „überzeitliche Wahrheit“ Gottes, die die Kirche verkündet und von der sie geprägt ist, für gottferne Menschen zunächst unbequem. Die Gebote zum Beispiel erscheinen zunächst als eine Einschränkungen der Freiheit. Aber es geht tatsächlich um unsere Befreiung (vgl. Joh 8, 32) auf Gottes Art, der die Welt erschaffen und die Geschichte als „Bühne“ seines Heilshandelns gewählt hat.

Gottes Wahrheit – ein anderes Wort für Treue – ist „handfest“. Sie bindet sich frei an Menschen, an das Volk Israel, an die Kirche. Daß die Kirche von Anfang an ihre Amtsträger mit Handauflegung weiht, ist ein sprechendes Zeichen: Keiner nimmt sich das Amt, sondern Gott gibt es durch seine Kirche.

Die Kirche ist Stiftung Christi – auch in ihrer konkreten geschichtlichen Gestalt und in ihren Gesetzen. Bei allem Ringen um Einzelheiten, allen Fortschritten, Erkenntnissen usw. kommt es im Glauben an den menschgewordenen Gott letztlich darauf an, uns dieser Wahrheit in dieser konkreten Kirche zu fügen, im besten Sinne des Wortes gehorsam und „Hörer des Wortes“ (K. Rahner) zu sein, weil in Christus, dem Wort Gottes, „das Leben ist, das Licht der Menschen“ (Joh 1, 4)

Gerade für uns Menschen heute in unserer so bewegten Zeit scheinen die Treue, die Beständigkeit und die Liebe zur Tradition weniger eine Last, sondern vielmehr eine Quelle für das geistliche Leben zu sein: Hier nehmen wir leiblich Kontakt auf zu dem in Zeit und Raum menschgewordenen Gott und zur von ihm gestiftete Kirche (bis hin zu Gebetsformen und Gewändern) und finden "Stallgeruch", Geborgenheit, Heilung und – nicht unwichtig – etwas Liebenswertes.

Wenn man das akzeptiert, wie kann dann die Frage der Frauenpriesterweihe entschieden werden? Drei Maßstäbe kennt die Kirche, um solche schwerwiegenden Fragen zu beantworten: das Zeugnis der hl. Schrift, die beständige Praxis (Tradition) und das ordentliche Lehramt, das der Papst mit den Bischöfen ausübt. Und hier ist die Sachlage unzweifelhaft. Die Kirche kommt zu dem Schluß, „daß [sie] für sich nicht die Vollmacht in Anspruch nimmt, Frauen zur Priesterweihe zuzulassen“ (Apostolisches Schreiben Ordinatio Sacerdotalis von Papst Johannes Paul II. von 1994, 2), und betont, daß der Grund dafür die Handlungsweise Christi ist, die sich nicht aus soziologischen oder kulturellen Umständen erklären läßt – im Gegenteil handelte Christus ja diesen ansonsten oft zuwider. „Der wahre Grund liegt darin, daß Christus es so festgelegt hat, als er die Kirche mit ihrer grundlegenden Verfassung und ihrer theologischen Anthropologie ausstattete, der dann in der Folge die Tradition der Kirche stets gefolgt ist.“ (Papst Paul VI., Ansprache über die Rolle der Frau im Heilsplan, 30. Januar 1977)

Das bedeutet keine Minderung der Würde der Frau, noch weniger eine Diskriminierung. Denn wem käme unter allen Menschen eine höhere Wertschätzung seitens der Kirche zu, als Maria, der Mutter Gottes, die ja weder die Sendung der Apostel noch das Priesteramt innehatte – von Maria Magdalena, der „Apostelin der Apostel“ und vielen anderen im Neuen Testament rühmend erwähnten Frauen ganz zu schweigen.

Nicht das Amt ist in unserem Glauben das Entscheidende, sondern die Heiligkeit: „Die hierarchische Struktur der Kirche [ist] vollkommen auf die Heiligkeit der Gläubigen ausgerichtet.“ (Ordinatio Sacerdotalis 3)


6. Ausklang

Die Legenda Aurea erzählt, daß Maria Magdalena die letzten dreißig Jahre ihres Lebens in völliger Einsamkeit gelebt habe. Siebenmal am Tag sei sie von Engeln in den Himmel entrückt worden, wo sie vom Herrn gespeist worden sei und dem Gesang an Gottes Thron lauschen durfte. Als ihr offenbart worden war, daß sie nun sterben würde, bat sie einen Priester, dem Bischof Maximinus zu sagen, er solle am nächsten Ostertag, wenn er zur Frühmesse aufsteht, alleine in die Kirche gehen, wo er sie von Engeln geleitet antreffen werde. Der Priester tat, wie Magdalena ihn gebeten: 

„Maximinus aber dankte dem Herrn mit großen Freuden; und ging an dem Tag und um die Stunde, da ihm geboten war, allein in die Kirche. Da sah er Maria Magdalena im Chor der Engel stehn, die sie hatten hergeführt. Sie war aber zwei Ellen aufgehoben von der Erde und stund in der Mitte der Engel, und betete mit ausgebreiteten Händen zum Herrn. Da Sanct Maximinus aber fürchtete, zu ihr heranzutreten, sprach sie zu ihm gewendet: ,Tritt näher heran, Vater, und fliehe vor deiner Tochter nicht‘. Als er aber näher herantrat, so liest man in Maximini eigenen Büchern, da strahlte ihr Antlitz allzusehr von dem immerwährenden und täglichen Schauen der Engel, daß man eher in die Sonne hätte sehen mögen, denn in ihr Angesicht. Da rief er den vorgenannten Priester herbei und versammelte den ganzen Klerus, und also empfing Maria Magdalena aus des Bischofs Händen mit vielen Tränen den Leib und das Blut des Herrn. Darnach streckte sie sich mit ganzem Leib für die Stufen des Altars, und also fuhr ihre heilige Seele gen Himmel.“ (Legenda Aurea des Jacobus de Voraigne, aus dem Lateinischen übersetzt von Richard Benz, Heidelberg 1984, 479)

Maria Magdalena hat ihr Priestertum gelebt, meine Oma auch – dazu brauchten sie das Priesteramt der Kirche, nicht aber eine Priesterweihe für sich.

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