Samstag, 1. September 2007

Richter-Fenster im Kölner Dom



Ein Freund schrieb mir zum neuen Fenster im Südquerhaus des Kölner Doms von Gerhard Richter:


„Ich verfolge seit ein paar Tagen mit Staunen die Diskussion um das neue Fenster im Dom zu Köln. Ob einem die Abstraktheit gefällt oder nicht, das kann jeder für sich selbst ausmachen. Aber was die Äußerungen des Herrn Kardinal so verblüffend macht, ist, daß dabei dessen Unkenntnis der ganzen theologischen, ästhetischen und symbolischen Zusammenhänge in einem gotischen Kirchbau ins helle Licht gerückt wird. Der Mann weiß offenbar weder über seine eigenen theologischen Traditionen Bescheid, noch weiß er, an welchem Ort er ist - für mich ein Beispiel einer sensationellen unzulässigen intellektuellen Unbedarftheit im Amt, was sogar einen Protestanten ärgert.“


Ich meine auch, der Kardinal hätte besser einfach nichts gesagt. Es gehen ihm eben gerne mal die Pferde durch. Nach seiner Argumentation müßte man den Altenberger Dom den Muslimen anbieten oder neu verglasen (am besten mit Bildern von Sieger Köder, das versteht wenigstens jeder!), denn die dortige hochmittelalterliche Grisaille-Glasmalerei ist ja auch abstrakt (nur Blätter).


Ich bin in Köln gewesen. Das Fenster paßt und entfaltet seine Wirkung. Es ergab sich zufällig ein Gespräch mit einer Klasse Lernbehinderter (8. oder 9. Schuljahr). Aufhänger war die Frage eines Schülers: „Was war denn da vorher?“ Ich erklärte, daß das neugotische Original samt Plänen im Krieg verlorengegangen sei und man danach ein farb- und bildloses Provisorium eingesetzt habe.


Auf meine Frage, wie sie das Fenster finden, sagten sie als erstes: „Sieht klasse aus.“ 


Gut, daß es sie an Pixel erinnerte, näherhin an einen Bildschirm, wenn der Rechner abstürzt, war nicht gerade ein optimaler katechetischer Aufhänger; ich wies lediglich darauf hin, daß es hierbei nicht um Abstürzen ginge, ganz im Gegenteil.


Daß man sich mit dem neuen Kunstwerk farblich und formal zurückgehalten, auf eine eigene (handfest-figürliche) Aussage verzichtet und die Farben der vorhandenen Fenster gewählt hatte, gefiel den Schülern. Einer sagte: „Also sind alle Fenster in diesem einen mit drin.“


Die theologischen Zusammenhänge sind in einer gotischen Kathedrale, die ja ein Gesamtkunstwerk aus Form, Farbe, biblisch-geschichlicher Erzählung und theologisch-liturgischer Aussage ist, so komplex und sensibel, daß man, wie man so schön sagt, genauer hinsehen muß. Z.B.: Was gehört vom ursprünglichen Konzept her in das Südfenster? Was ist in der Nachbarschaft und gegenüber dargestellt und warum?


Ein abstraktes Fenster ist hier natürlich keine konkret-inhaltliche Antwort. Das aber ist wiederum auch eine Antwort, die sagt: Wir wollen oder können heute in diesem sensiblen Geflecht der Beziehungen und Aussagen keine (inhaltliche) Aussage machen, darum beschränken wir uns auf die Farben (die alle aus vorhandenen Fenstern zitiert sind, damit bringt das Fenster nichts Neues), die Wirkung des Lichtes (die genau dem entspricht, was die Gotik intendiert) und die moderne Form (damit man sieht, daß es von heute ist).


Als Protestant mußt Du dich nicht ärgern, das macht doch Huber-Bubba schon für Dich ganz ordentlich ...


Zum Richterfester und einem Gang durch das Triforium des Kölner Domes


Ulrich Terlinden, Die Theologie der gotischen Kathedralen (PDF)


2 Kommentare:

Gregor Kollmorgen hat gesagt…

Die Äußerung Kardinal Meisners mag ja etwas unbedarft sein, aber wenn man das Interpretations-Konvolut aus der FAZ vom letzten Samstag liest, zeigt sich doch, daß das Fenster letztlich genau für jene Diktatur des Relativismus steht, die eins der, wenn nicht das Grundübel unserer Zeit ist. Und genau so wird es ja, wie die Reaktion der Schüler zeigt, auch wahrgenommen: keine eigene Aussage ist am besten - quid est veritas? Noch schlimmer ist allerdings die Reaktion von Richter selbst: Freilich sei die Darstellung nicht katholisch, sie zeige den Zufall als überwältigende Macht, nicht etwa göttliche Vorsehung. Damit ist wohl alles gesagt. Und das setzen wir uns in feiger Anbiederung in unsere Kathedralen. Quod si sal evanuerit, in quo salietur?

grillenbreit hat gesagt…

"Der Zufall als überwältigende Macht." Um zu verstehen, was Herr Richter damit meint, ist es erforderlich, sich erstens genauestens mit dem Problem von Zufallsoperationen in der Kunst zu beschäftigen und zweitens mit dem Selbstkommentierungsverhalten von Künstlern.

Zunächst sei gesagt, daß Künstler, wenn sie zu dem Mittel des Zufalls greifen, keineswegs beabsichtigen, der Beliebigkeit zu huldigen. Es existieren Rahmenvorstellungen, oft Vor- und Einzelstudien, die verschiedene Problemlösungen zeigen bzw. skizzieren. Von Richter gibt es bereits mehrere Bilder in dem Stil und mit der Technik. Sich in verschiedenen Größenordnungen und Zusammenhängen zu wiederholen, ist normale künstlerische Praxis. Man denke nur an die vielen Stilleben mit Äpfeln von Cézanne! Das Gleiche immer wieder anders. Die Zufallsoperation in den immer wieder gleichen Anordnungen von Farben dient dazu, durch ein Unsicherheitsfaktor das Auffinden von Variationsmöglichkeiten zu motivieren, und zwar gezielt. Außerdem ist Zufall auch nicht gleich Zufall. Der Künstler kann durch die Wahl von bestimmten Algorithmen quasi heuristisch festlegen, wie die Resultate von Zufallsverteilungen etwa aussehen sollen. Die Entscheidung für einen bestimmten Algorithmus induziert auch eine bestimmte ästhetische Entscheidung. Die Herausforderung ist wahrscheinlich die, daß der Zufall wohl zu vielen verschiedenen Lösungen führen kann, die aber - im Gesamtkontext betrachtet - dazu dienen, etwas zu optimieren und weiterzuentwickeln. Denn am Ende eines solchen Vorgangs steht eine Selektion aufgrund einer Bewertung der Ergebnisse. Unbestimmtheit mündet in Bestimmtheit.

Die Anwendung solcher Praktiken halte ich für theologisch irrelevant. Hier die "göttliche Vorsehung" einzuführen, ist eine maßlose Übertreibung. Es kommt vielmehr darauf an, ob das Ergebnis gelungen ist oder nicht. Wenn Herr Richter selber eine Verbindung zwischen einer Verfahrenstechnik und seiner privaten Weltanschauung hergestellt hat, bleiben es trotzdem zwei verschiedene Paar Schuhe. Das Selbstkommentierungsverhalten vieler Künstler ist eine Falle, in die man leicht hineintappt.

"Nicht katholisch": Es ist sogar irrelevant, von einem Fenster im Kölner Dom zu verlangen, daß es katholisch sei. Es hat seine Funktion im Kontext des Kölner Doms zu übernehmen, und das ist nicht wenig. Werden andere Maßstäbe angelegt, was würde es dann bedeuten, wenn im Kölner Dom Musik von Bach oder Buxtehude erklingt?! Handelt es sich dabei um einen Vorgang, der, weil die Musik so gut ist, als überzeugende Stellungnahme zugunsten der protestantischen Stilvariante des christlichen Glaubens verstanden werden kann? Bach auf dem Petersplatz: Keine Musik muß katholisch sein, wenn sie Auftritte von Benedikt XVI. begleitet. Aber sind solche Probleme überhaupt erörterungswürdig und nicht bloßer Zeitvertreib?