„Ich gehe nun den Weg alles Irdischen“
Betrachtung über Geist und Fleisch
„Als die Zeit
herankam, da David sterben sollte, ermahnte er seinen Sohn Salomo: Ich gehe nun
den Weg alles Irdischen. Sei also stark und mannhaft!“ (1 Kön 2, 1f) David hat
Teil an allem Irdischen, am Werden und Vergehen: Nichts Irdisches – bis hinauf
zu den Sternen – ist ewig, alles hat Anfang und Ende. Nur von der Materie der
atomaren und subatomaren Ebene können wir das nicht aus der Beobachtung sagen,
nehmen aber an, daß auch ihre Existenz eine Ursache und damit einen Anfang hat
– und dann vermutlich auch ein Ende.
„Ich gehe nun den
Weg alles Irdischen.“ – Der Mensch unterscheidet sich von allem Irdischen
dadurch, daß er seine Vergänglichkeit erkennen und benennen kann. Und dieser
Unterschied ist sein Geist. Durch den Verstand, der über sich selbst nachdenken
kann, hat er – im Unterschied zu Materie, Pflanze und Tier – Teil an etwas
Unvergänglichem. Es ist der Geist. Und „Gott ist Geist“ (Joh 4, 24)
Nahrung
Wovon nun lebt
das Fleisch des Menschen, wovon sein Geist? Das menschliche Fleisch
unterscheidet sich wie alles Belebte von der unbelebten Schöpfung eben durch
das Leben. Es muß, im Unterschied zu Stern, Stein Luft und Wasser, ernährt
werden, es braucht zu essen und zu trinken (Brot), es sucht Angenehmes (Wein),
es will sich fortpflanzen.
Der Geist sucht
als „Nahrung“ den Sinn. Er nimmt an, daß die Tatsache, daß es ihn gibt und er
darüber nachdenken kann, in einem größeren Zusammenhang steht, der zu ihm paßt,
den er nach und nach erkennen kann; hier auf der Erde nur wie durch einen
Schleier, nach dem Tod des irdischen Menschen aber offenbar: „Jetzt schauen wir
in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von
Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich
durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin.“
(1 Kor 13, 12)
Als Mose vierzig
Tage auf dem Gottesberg war, aß und trank er nichts (Ex 34, 28): „Gott allein
genügt.“ (Teresia von Avila). Jesus sendet seine Jünger aus und ermahnt sie,
kein Brot und keinen Vorrat mitzunehmen (Mt 10, 10 par.); Gott würde für sie
sorgen. Wir dürfen und sollen auf der Erde verhüllt erfahren, was wir im Himmel
unverhüllt genießen werden: „Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des
Herrn wirkt, da ist Freiheit. Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die
Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von
Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn.“ (2 Kor 3, 18)
Christus – in
Wahrheit Fleisch geworden, in Wahrheit gelitten
Gott hat den
Graben zwischen Zeit und Ewigkeit, Geist und Fleisch überschritten: „Das Wort
ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14) in Jesus Christus. Dabei hat er seine
Wahrheit, seine Gottheit nicht abgelegt, sondern unser Fleisch angenommen. In
beiden Naturen war er in der Welt: „Was von Anfang an war, was wir gehört
haben, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände
angefaßt haben, das verkünden wir: das Wort des Lebens.“ (1 Joh 1, 1)
In Christus nimmt
Gott unser Fleisch an, tritt in die Welt der Materie, des Werdens und Vergehens
und stellt sich unter ihre Gesetze.
„Er stammt in
Wahrheit dem Fleisch nach aus dem Geschlecht Davids und ist Sohn Gottes nach
dem Willen der Macht Gottes. (vgl. Röm 1, 3.4) Er ist in Wahrheit aus einer
Jungfrau geboren und – damit alle Gerechtigkeit von ihm erfüllt werde – von
Johannes getauft worden (vgl. Mt 3, 15), er ist in Wahrheit unter Pontius
Pilatus und dem Vierfürsten Herodes dem Fleische nach angenagelt worden.“
(Ignatius von Antiochien [† nach 107], aus dem Brief an die Smynäer)
Im Fleisch
angenagelt betet Christus zum Vater und trägt ihm sozusagen die Erkenntnis
seines Erdenlebens und die daraus folgende Bitte vor: „Vater, vergib ihnen,
denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23, 34) Während er unser
Todesschicksal im Fleische erleidet, haucht er den Geist aus – in diese Welt
hinein.
Fruchtbarer
Tod – leiblich-geistliche Zeugung der Kirche
„Seine Frucht
sind wir, Frucht seines seligen Leidens. So wollte er für ewige Zeiten durch
seine Auferstehung ein Zeichen aufrichten für seine Heiligen und Gläubigen,
Juden oder Heiden, in dem einen Leib seiner Kirche. All das erlitt er
unseretwegen, um uns zu retten, und er litt in Wahrheit, wie er sich auch in
Wahrheit selbst auferweckte. Ich weiß und glaube, daß er auch nach seiner
Auferstehung noch im Fleische ist. Als er zu Petrus und dessen Gefährten kam,
sagte er zu ihnen: ,Faßt mich an, betastet mich und seht, daß ich kein Gespenst
ohne Leib bin.‘ (...) Nach seiner Auferstehung aß und trank er mit ihnen, weil
er einen Leib hatte, er der dem Geist nach mit dem Vater eins war.“ (Ignatius
von Antiochien († nach 107), aus dem Brief an die Smynäer)
Im Geist und
in der Wahrheit
Der Geist
ermöglicht dem Menschen den Glauben und das Beten. Das unterscheidet ihn von
allen sichtbaren Geschöpfen und verbindet ihn mit Gott und den Engeln. Im
Christen wirkt sogar der Heilige Geist, also Gott selbst, und betet ihn ihm:
„So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht,
worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns
ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können.“ (Rom 8, 26)
Glaube und Gebet
erhebt den Menschen also über alles Irdische und richtet ihn aus auf die
Ewigkeit, in der es kein Werden und Vergehen gibt. Gott ist treu – und das
heißt, er war, ist und bleibt wahr. Gottes Wahrheit, seine Treue, ist Ewigkeit.
Jesus lehrt:
„Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit
anbeten.“ (Joh 4, 24) Wenn ein Mensch das unternimmt, so tut er es doch im
Fleisch: an einem Ort, in einem Raum, in einer bestimmten Haltung, mit Gesten
und Symbolen. So weiht die Kirche Altäre und Sakralbauten, so kennt sie heilige
Riten, Orte, Zeiten, geweihte Priester, heilige Gewänder und Gefäße,
gnadenvermittelnde Reliquien usw. Widerspricht das nicht einer Anbetung Gottes
im Geist und in der Wahrheit?
Nein, denn der
Mensch, der Gott anbetet, hat (Anteil an) Geist und Fleisch, an Zeit und
Ewigkeit. Er ist als zeitliches Wesen durch seine eigene „Untreue“ bedroht. Er
ruft „aus dem Fleisch“ zum Ewigen, daß er seine Seele durch die Zeit hindurch
bis ins ewige Leben bewahre. Wenn er also Gott im Geist und in der Wahrheit anbetet,
kann er es gar nicht anders als auch „fleischlich“, äußerlich. Zu versuchen,
„nur geistlich“ zu beten, wäre im wahrsten Sinne des Wortes Ketzerei: Die
Katharer hielten das Fleisch für böse.
Der Christ
glaubt, daß der Mensch von Gott als Geist-Fleisch-Wesen gewollt und geschaffen
ist. Diese Form seines Daseins ist ihm von Gott gegeben und aufgegeben. Er kann
und darf Gott im Geist und in der Wahrheit nicht ohne sein Fleisch anbeten.
Die Anbetung
Gottes im Geist und in der Wahrheit ist die Eucharistie. In ihr heißt es: „Dein
heiliger Engel trage diese Opfergabe auf deinen himmlischen Altar vor deine
göttliche Herrlichkeit; und wenn wir durch unsere Teilnahme am Altar den
heiligen Leib und das Blut deines Sohnes empfangen, erfülle uns mit aller Gnade
und allem Segen des Himmels.“ (Römischer Meßkanon.) Worum betet hier die
Kirche? Sie wird ja nicht annehmen, daß der Engel Gottes das auf dem Altar
liegende materielle Brot auf den himmlischen (geistigen) Altar tragen wird. Und
in der Tat ist seit 2000 Jahren solches nicht geschehen. Was also soll der
Engel in den „Himmel“, in die für uns Sterbliche unsichtbare Ewigkeit tragen?
„Diese Opfergabe“, heißt es im Kanon. In den Himmel emporgetragen werden der
Leib und das Blut Christi, insofern sie die Anbetung Gottes in Geist und
Wahrheit, das Opfer des Lobes sind, also die liebende Hingabe Christi am Kreuz,
mit der sich die Gläubigen verbinden, um so selbst Gott im Geist und in der
Wahrheit anzubeten. So erlangen sie den – oder es wird in ihnen gestärkt der –
Anteil an der geistigen Welt: alle Gnade und allen Segen des Himmels – und zwar
durch das Essen des Brotes: Der das Fleisch erhaltende Vorgang wird zu einem
geistigen Tun.
Exkurs: Die Gefahr des Luthertums, der Irrtum des Calvinismus
Das Christentum bekennt die Auferstehung des Fleisches, weil Gott
dieses Fleisch angenommen hat. Es ehrt den Leib, hält ihn für den Tempel des
Heiligen Geistes, weil das Wort Fleisch geworden ist durch den Heiligen Geist
in und von der Jungfrau Maria. Gottes Sohn hat Gene, Augenfarbe, Körpergeruch
angenommen.
So ein konkreter Gott ist unmodern. Und so geriet dieser Glaube im
„Licht“ der Neuzeit in die Kritik. Humanisten und Reformatoren rieben sich
daran, daß der fleischgewordene Gott gesagt hatte: „Amen, amen, das sage ich
euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht eßt und sein Blut nicht
trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch ißt und mein Blut
trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag. Denn
mein Fleisch ist wirklich eine Speise und mein Blut ist wirklich ein Trank. Wer
mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm.“
(Joh 6, 53-56). Wie kann man das rein geistlich verstehen? Soll, darf man das
nur geistlich verstehen?
Für Luther wird der Leib Christi „in auf und unter“ dem Brot des
„Abendmahls“ empfangen (Konsubstantiation). Er wollte den alten Glauben nicht
aufgeben, daß am Altar Christi wahrer Leib empfangen wird. So leckte er einmal
den vergossenen Wein des Abendmahls vom Boden auf, glaubte also noch an die
Realpräsenz. Doch daß das Brot Christi Leib ist, das war dann doch zuviel, unzumutbar, nicht
mehr „zeitgemäß“. Aber kann man „in, auf und unter“ dem Brot den Leib Christi
empfangen, der ja dann, wenn er nicht das Brot ist, geistlicher
Natur wäre? Ist es dann noch der Leib Christi?
Calvin dachte das Moderne zu ende und kam zur Überzeugung: Brot
bleibt Brot, die Vereinigung mit Gott geschieht bei den Worten „Erhebet die
Herzen. – Wir haben sie beim Herrn.“ Gott ist eben Geist. Seine Fleischwerdung,
sein menschliches Leben, Sterben und Auferstehen hatte nach protestantischer,
vor allem calvinistischer Sicht offenbarenden, sozusagen informativen
Charakter. Das „Abendmahl“ ist infolgedessen nur noch eine Gnadenzusage, kein
Opfer, keine Hingabe der Gläubigen in Einheit mit dem Wort, das Fleisch
geworden ist. Während die Kirche glaubt, daß Christus in den Sakramenten mit
seiner göttlichen und seiner menschlichen Natur gegenwärtig ist („Ich weiß und
glaube, daß er auch nach seiner Auferstehung noch im Fleische ist.“ Ignatius
von Antiochien, s. o.), weist die Reformation in gewisser Weise die (bleibende)
menschliche Natur zurück.
Der Glaube an Christus richtet sich seit dem in den Himmel, denn auf
Erden ist er seit seiner Himmelfahrt nicht anzutreffen. Calvinistische Kreuze
haben darum keinen Korpus. So hätte Gott im Christusereignis die Versöhnung
kundgetan und die Menschen danach wieder so allein gelassen, wie sie vorher
waren. Welt und Fleisch sind gottlos. So kann Brot auch nicht der Leib Christi
sein, ein Altar kein Ort der Gottesnähe, eine Kirche kein heiliger Raum, kann
es keine Wallfahrt geben usw.
Konsequenterweise haben die Gemeinschaften der Reformation rasch die
Werktagsmesse und großenteils die allsonntägliche Feier des Abendmahls
aufgegeben. Ebenso konsequent ist es, daß Körperhaltungen, Gewänder, Weihrauch,
Ministranten usw. keine Bedeutung haben. All das ist in reformatorischer Sicht
leiblich, also weltlich. Wenige hochlutherische Ausnahmen bestätigen als solche
diese Regel leider.
Zeugung und
Zeugnis, Geburt und Überzeugung, Leben und Licht
Wie zwei Lichter
werden sie von Generation zu Generation weitergegeben, sind nicht zu
konservieren oder sonst wie zu verewigen: Leben und Glaube. Allein im Tragen
und Weitergeben erhalten sie sich. „Herrlichkeit Gottes ist der lebendige
Mensch“ (Irenäus von Lyon, Adversus Haereses IV, 20, 7) – er trägt die beiden
Fackeln, Leben und Glaube; empfängt sie durch Zeugung und Zeugnis, behält sie
durch Geburt und „Überzeugung“ und gibt sie durch Zeugung und Zeugnis weiter.
Mit allen Geschöpfen hat er Teil am Leben, mit den unsichtbaren am ewigen
Licht, ja: „das Leben des Menschen die Gottesschau.“ (ebd.)
Freiheit
Der erlöste
Mensch bleibt in der Gefahr, Glauben und Leben zu verlieren. Denn er ist frei,
weil er am Geist Anteil hat, der nicht „magisch“, „automatisch“ wirkt, sondern
auf die freie Mitwirkung des Menschen zielt: „Ihr seid zur Freiheit berufen,
Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient
einander in Liebe! (...) Darum sage ich: Laßt euch vom Geist leiten, dann
werdet ihr das Begehren des Fleisches nicht erfüllen. Denn das Begehren des
Fleisches richtet sich gegen den Geist, das Begehren des Geistes aber gegen das
Fleisch; beide stehen sich als Feinde gegenüber, so daß ihr nicht imstande
seid, das zu tun, was ihr wollt. Wenn ihr euch aber vom Geist führen laßt, dann
steht ihr nicht unter dem Gesetz.“ (Gal 5, 13.16-18) Es gibt also eine
eindeutige Gewichtung: Martha, die sich um das leibliche Wohl Jesu sorgt und sich
über ihre Schwester Maria beschwert, die dem Herrn zuhört, wird belehrt: „Martha,
Martha, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig.
Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.“ (Lk 10,
41f) Dem Menschen ist Einscheidung und Streben aufgetragen, weil Gott ihm, wie
schon bei den ersten Menschen, die Freiheit auf keinen Fall nehmen will, da er
ihm so kein Partner und Freund mehr sein könnte. Gott schenkt Freiheit und
mutet sie zu, damit der Mensch mit seiner Hilfe das Ziel der Ewigkeit und der
„himmlischen Hochzeit“ erreiche.
Auferstehung
des Fleisches
Die
Fleischwerdung des göttlichen Wortes hat zum Ziel, daß der Mensch vergöttlicht
wird – und zwar in einem Akt der „Überkleidung“, nicht der Entledigung des Fleisches.
„damit so das Sterbliche vom Leben verschlungen werde.“ (2 Kor 5, 4) Die Kirche
glaubt an die Auferstehung des Fleisches. Wie auch immer das konkret geschehen
wird, in der Ewigkeit sind und bleiben wir Menschen, Geist-Leib-Wesen, wir sind
und bleiben wir selbst und werden befreit von der Last alles dessen, was
sterblich an uns ist. Unser Leben wird „aufgehen“.
Du hast eine Aufgabe,
meine Seele,
eine große Aufgabe, wenn
du willst.
Befrage dich ernsthaft,
dein Dasein, dein
Schicksal;
woher du kommst und
wohin du gelangen sollst;
versuche zu erkennen, ob
das, was du lebst, Leben ist
oder ob es etwas darüber
hinaus gibt.
Du hast eine Aufgabe,
meine Seele,
läutere daher dein
Leben:
betrachte bitte Gott und
seine Geheimnisse,
frage dich, was vor
diesem Universum war
und was es für dich
bedeutet,
woher es kommt und was
sein Schicksal sein wird.
Das ist deine Aufgabe,
meine Seele,
läutere also dein Leben.
(Gregor von Nazianz,
Carmina [historica] 2, 1, 78: PG 37, 1425–1426)
Erschienen in Ewald & Ewald 2013 (in Kürze hier)
Erschienen in Ewald & Ewald 2013 (in Kürze hier)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen