Rathaus und Gänseliesel:

Folgenden Brief habe ich an einen älteren Mitbruder geschrieben. Dieser hatte mich ob meines Engagements für die Alte Messe kritisiert.
Lieber N.!
Danke für Deinen kritischen Brief. Ich schätze Dich als Mitbruder und Mensch sehr, und daher ist mir Deine Meinung wichtig. Heute beim Konveniat hatten wir keine Gelegenheit, darüber zu sprechen. Ich will Dein Angebot zum Gespräch gerne annehmen, aber vielleicht ist es auch gut, Dir zuvor schriftlich zu antworten.
Das Blatt, das Du in der Sakristei gelesen hast, ist nicht für die Allgemeinheit bestimmt. Ich habe es vielmehr für Meßdiener verfaßt, die einen besonderen Sinn für Liturgie haben und Interesse bekunden, auch einmal die „Alte Messe“ zu erleben. Es geht also um ein Neugierigmachen – mehr nicht. Daher mögest Du mir diesen liturgiehistorischen „Holzschnitt“ nachsehen.
Natürlich habe auch ich Jungmann studiert – ich war selig, als ich sein Missarum Solemnia von N.N. erbte. Mir sind die verschiedenen Ritenfamilien bekannt, und ich weiß auch, daß der zweite Kanon auf Hippolyth zurückgeht – allerdings ist er an nicht unwichtigen Stellen verändert, was uns die Orthodoxen übrigens übelnehmen.
Ich vermute aber, daß es bei der durch das Motu Proprio Summorum Pontificium ausgelösten Diskussion über die Alte Messe, von der dieser unser Briefwechsel ein Teil ist, weniger um solch liturgiehistorischen Einschätzungen geht. Der eigentliche Punkt ist vermutlich ein anderer. Mir scheint, daß es vor allem die älteren Mitbrüder, also die Erlebnisgeneration der Reform, irritiert, wenn jüngere Priester ein Interesse oder sogar eine Liebe zur alten Messe entwickeln.
Das ist verständlich, denn es wirkt wie ein Gegensatz zu dem, was sie selbst als junge Priester erlebt und durchgesetzt haben. Wenn ich und andere jüngere Priester und Gläubige die Alte Messe feiern und darin auch einen Weg der Seelsorge sehen, geht es uns bestimmt nicht um ein Wiederherstellen des Zustandes vor der Reform, denn diesen kennen wir Jüngeren ja gar nicht. Das Ergebnis der von Eurer Generation als Befreiung erlebten Veränderungen haben wir ja von Kindheit auf als das einzig Normale erlebt.
Die „Alte Messe“ habe ich erstmals besucht, als ich schon im Studium war, und das war für mich auch nicht besonders attraktiv. Es geht um etwas anderes. Die „neue Sehnsucht nach der alten Messe“ gibt es ja vor allem bei jüngeren Menschen, solchen, die nach der Reform großgeworden sind. Wenn Papst Benedikt über die Liturgiereform schreibt: „Man brach das alte Gebäude ab und baute ein anderes.“ (Aus meinem Leben, DVA 1997, S.173), dann werden ich und andere „nachreformatorische“ Menschen neugierig und fragen nach dem „alten Gebäude“, von dem man vermutet, daß es in irgend einer Weise ursprünglicher, „originaler“ gewesen sein muß. Übrigens ist es dieser Satz, der mich zu dem von Dir kritisierten „Werbetext“ inspiriert hat.
Sicher war manches an der Liturgie, so wie Eure Generation sie bis in die 1960er Jahre erlebt hat, „suboptimal“, aber diese Mißstände haben wir Jüngeren doch gar nicht kennengelernt. Es sind nicht unsere Probleme. Und bei der Beschäftigung mit der Alten Messe ist – von ihrer Vielschichtigkeit und Weisheit abgesehen – vor allem ihr Alter faszinierend und ihre „Ungemachtheit“. Damit meine ich nicht, daß hier keine Menschen am Werk gewesen wären, aber es waren eben lange geistliche Erfahrungsprozesse, Wachstum und Reinigung im Geist der Gesamtkirche.
Das neue Meßbuch ist von Kardinal Annibale Bugnini und seiner Kommission entworfen, und das ist – wie ebenfalls unser Papst schreibt – etwas kirchengeschichtlich Neues. Und so etwas weckt Mißtrauen: Ist eine Kommission nicht viel zu sehr zeitbedingten Einflüssen und persönlichen Vorlieben unterworfen? Und sind nicht wirklich viele Orationen moralintriefend, die Meßopfertheologie des vierten Kanon in bis dahin nicht dagewesener und die Ökumene belastender Weise zugespitzt („darum bringen wir dir seinen Leib und sein Blut dar“), die im deutschen Meßbuch vorgesehene „Predigt“ vor dem Friedensgebet („Unser Herr Jesus Christus hat zu seinen Aposteln gesagt...“) an dieser Stelle (immerhin ist Er selbst ja da!) unangemessen und dem lateinischen Original nicht entsprechend (da ist es ein Gebet) und die Rituale zu Taufe und Krankensalbung von bemerkenswerter Mittelmäßigkeit (Was soll ein Effata-Ritus nach dem Wortgottesdienst?) usw.? Wenn man geistig einigermaßen wach und liturgisch sensibel ist, dann wundert man sich doch über soviel Mittelmaß – und fragt sich, da es sich doch um offizielle Gebete der katholischen Kirche handelt: Wie konnte es dazu kommen?
Eine Reform, wie sie das Konzil gefordert hat, hätte Ehrfurcht vor dem Gewachsenen gehabt, bis hin zur Leseordnung, die ja uralt war und uns bis dahin mit der protestantischen Christenheit über weite Strecken verbunden hat. Es hätten unter Beibehaltung des Bestandes und der Struktur Ergänzungen und Erweiterungen stattfinden können, aber kein „Neubau“. So etwas hatte man ja 1965 begonnen aber davon spricht heute keiner mehr...
Um es klar zu sagen: Es geht nicht um ein Entweder – Oder. Der Papst wünscht die befruchtende Ergänzung. Ich glaube, wenn ich die Alte Messe zelebriere, dann fließen die Prägungen durch die Zelebration der neuen mit ein (So drehe ich mich z.B. nicht nach dem „Orate fratres“ sofort wieder um, sondern spreche den ganzen Satz zu den Gläubigen, an die diese Aufforderung ja gerichtet ist). Ich könnte mir auch vorstellen, die Alte Messe auf deutsch zu feiern; wichtig sind mir nur ihr Alter, ihre schlüssige „Dramaturgie“ und „Choreographie“ und ihr Gespür für Heiligkeit und Ehrfurcht. Und ich zelebriere die „Neue Messe“ bewußter, persönlich zurückhaltender und „objektiv-ritueller“, seit ich die alte kenne.
Der neue Ritus, den ich ja beinahe täglich feiere, ist nicht unwürdig, von „ungültig“ ganz zu schweigen, und er ist ja inzwischen trotz der genannten „Mängel“ sozusagen geheiligt durch den 40jährigen Gebrauch der Kirche. Nur, wenn 99% der Christen wirklich zufrieden wären mit der neuen Liturgie, wie Du schreibst, dann ist doch immerhin bemerkenswert (ich meine das nicht polemisch!), daß so wenige und immer weniger dieses Angebot nutzen. Man kann doch nicht umhin festzustellen, daß die Liturgiereform den Rückgang der Meßbesucherzahlen wenigstens nicht aufgehalten hat. Da scheint mir ein „Weiter so“ unklug.
Sicher, auch zur „Alten Messe“ kommen wenige (wir feiern sie ja auch zu ungewöhnlicher Zeit und nicht am Sonntag). Aber die, die kommen, sind junge, bewußte und meist in ihren Pfarreien aktive Christen. Das ist doch nicht die schlechteste Klientel, oder? So glaube ich nicht, daß ich mir durch die Feier und das Angebot der Alten Messe die Seelsorge schwerer mache, als sie ohnehin ist. Mich bereichert die Alte Messe – und es gibt andere, denen es genauso geht. Keiner von uns will, so glaube ich, diese Form als die alleinige, wohl aber als herausfordernde Korrektiv zur derzeit üblichen.
Ich hoffe, lieber N., Dir meine Beweggründe einigermaßen verständlich dargelegt und deine Bedenken zerstreut zu haben. Über ein Gespräch darüber mit dir oder auch weiteren Mitbrüdern würde ich mich freuen.
Herzlich grüßt Dich
Dein N.
Ein Freund schrieb mir zum neuen Fenster im Südquerhaus des Kölner Doms von Gerhard Richter:
„Ich verfolge seit ein paar Tagen mit Staunen die Diskussion um das neue Fenster im Dom zu Köln. Ob einem die Abstraktheit gefällt oder nicht, das kann jeder für sich selbst ausmachen. Aber was die Äußerungen des Herrn Kardinal so verblüffend macht, ist, daß dabei dessen Unkenntnis der ganzen theologischen, ästhetischen und symbolischen Zusammenhänge in einem gotischen Kirchbau ins helle Licht gerückt wird. Der Mann weiß offenbar weder über seine eigenen theologischen Traditionen Bescheid, noch weiß er, an welchem Ort er ist - für mich ein Beispiel einer sensationellen unzulässigen intellektuellen Unbedarftheit im Amt, was sogar einen Protestanten ärgert.“
Ich meine auch, der Kardinal hätte besser einfach nichts gesagt. Es gehen ihm eben gerne mal die Pferde durch. Nach seiner Argumentation müßte man den Altenberger Dom den Muslimen anbieten oder neu verglasen (am besten mit Bildern von Sieger Köder, das versteht wenigstens jeder!), denn die dortige hochmittelalterliche Grisaille-Glasmalerei ist ja auch abstrakt (nur Blätter).
Ich bin in Köln gewesen. Das Fenster paßt und entfaltet seine Wirkung. Es ergab sich zufällig ein Gespräch mit einer Klasse Lernbehinderter (8. oder 9. Schuljahr). Aufhänger war die Frage eines Schülers: „Was war denn da vorher?“ Ich erklärte, daß das neugotische Original samt Plänen im Krieg verlorengegangen sei und man danach ein farb- und bildloses Provisorium eingesetzt habe.
Auf meine Frage, wie sie das Fenster finden, sagten sie als erstes: „Sieht klasse aus.“
Gut, daß es sie an Pixel erinnerte, näherhin an einen Bildschirm, wenn der Rechner abstürzt, war nicht gerade ein optimaler katechetischer Aufhänger; ich wies lediglich darauf hin, daß es hierbei nicht um Abstürzen ginge, ganz im Gegenteil.
Daß man sich mit dem neuen Kunstwerk farblich und formal zurückgehalten, auf eine eigene (handfest-figürliche) Aussage verzichtet und die Farben der vorhandenen Fenster gewählt hatte, gefiel den Schülern. Einer sagte: „Also sind alle Fenster in diesem einen mit drin.“
Die theologischen Zusammenhänge sind in einer gotischen Kathedrale, die ja ein Gesamtkunstwerk aus Form, Farbe, biblisch-geschichlicher Erzählung und theologisch-liturgischer Aussage ist, so komplex und sensibel, daß man, wie man so schön sagt, genauer hinsehen muß. Z.B.: Was gehört vom ursprünglichen Konzept her in das Südfenster? Was ist in der Nachbarschaft und gegenüber dargestellt und warum?
Ein abstraktes Fenster ist hier natürlich keine konkret-inhaltliche Antwort. Das aber ist wiederum auch eine Antwort, die sagt: Wir wollen oder können heute in diesem sensiblen Geflecht der Beziehungen und Aussagen keine (inhaltliche) Aussage machen, darum beschränken wir uns auf die Farben (die alle aus vorhandenen Fenstern zitiert sind, damit bringt das Fenster nichts Neues), die Wirkung des Lichtes (die genau dem entspricht, was die Gotik intendiert) und die moderne Form (damit man sieht, daß es von heute ist).
Als Protestant mußt Du dich nicht ärgern, das macht doch Huber-Bubba schon für Dich ganz ordentlich ...
Zum Richterfester und einem Gang durch das Triforium des Kölner Domes
Rekonstruktion des "Alten Doms" (804)
Ulrich Terlinden, Die Theologie der gotischen Kathedralen (PDF)