Wenn man durch Mecklenburg fährt, fällt auf, daß die Orte slawische (-ow, -in) und germanische (-torp, -hagen) Namen haben. Hier ist die Kolonisationsgeschichte der ehemaligen Einöde an der Ostsee ablesbar: Ursprünglich wohl eher gar nicht, dann von Slawen (Wenden) besiedelt, kamen von Westen her sächsische Siedler, Missionare und Konlonisatoren.
Ein Brennpunkt dieser Geschichte ist die 1186 gegründete ehemalige Zisterzienserabtei Doberan. 1171 hatte der Obotiten-Fürst Pribislav nach seiner Taufe 1164 in Althof ein Zisterzienserkloster gegründet, eine Tochter der Abtei Amelungsborn und eine "Enkelin" von Kamp, der ersten Zisterzienserabtei in Deutschland.
Am 10. November 1179 wurde dieses erste Kloster ("Alt-Doberan") zerstört, 78 Mönche wurden zu Märtytern.
Die Neugründung erfolgte 1186 quasi unter einem Orakel: Dort, wo der Fürst auf der Jagd den ersten Hirsch zur Strecke bringen würde, sollte der Neubau entstehen. Der Hirsch wurde in sumpfigem Gelände erlegt, so daß man sich fragte, ob es wohl gut wäre, hier eine Abtei zu errichten. Da stieg der Legende nach ein Schwan auf und rief "dobre, dobre" (gut, gut). Daher soll der Name "Doberan" stammen.
Die Kirche, unter fürstlichem Protektorat errichtet, weicht in manchem von der zisterziensischen Schlichtheit ab, da sie auch Grablege der Fürsten von Mecklenburg war. Statt geradem Chorschluß eine polygonale Apsis mit Kappellenkranz, figürliche Darstellungen über den zisterziensischen Kanon hinaus...
Das Kloster wurde während der lutherischen Reformation aufgehoben, der letzte Abt floh ins Tochterkloster Pelplin in Pommern.
Romanisches Beinhaus nördlich der Abteikirche:
Wirtschaftshaus im Süden des Abteigeländes:
Die Madonna im Chorleuchter war ursprünglich die Mittelfigur des Hochaltars. In der Pyxis, die Christus und Maria gemeinsam halten, wurde das Allerheiligste aufbewahrt.
Neugotisches Adlerpult in der Mitte des Chores.
Blick zur fürstlichen Grablege im Nordquerhaus:
Hier (wenn nicht in Cismar oder Rossow) steht der älteste (Schnitz-) Flügelaltar der Welt:
Ökumenisch spektakulär ist das Altarkreuz. Es ist im Heiligen Jahr 1700 in Rom erworben und enthält ein mit päpstlichem Siegel versehenes Reliquiar mit Partikeln von Martyrerreliquien. Es kam unter dem zur Kirche heimgekehrten Herzog Carl Leopold (1678-1747) hierher, der wieder einen benediktinischen Konvent (aus Göttweig) am Münster ansiedeln wollte.
Quelle: http://www.muenster-doberan.de/index.php?id=175 |
Blick nach Westen zum Kreuzaltar, hinter dem das Chorgestühl der Konversen steht (östlich das der (Priester-) Mönche):
Die (östliche) Marienseite des Kreuzaltares:
Das Fürstengestühl, früher im Chor:
Die (westliche) Christusseite des Kreuzaltares:
Das Tor vor Adam und Eva (Mitte) wird bis heute in der Weihnachtszeit geöffnet.
Konversengestühl:
Ein Teufel versucht, einen Konversen vom Chorgebet abzuhalten und in die Kneipe zu locken.
Neugotische Kanzel im gotischen Chorgestühl - gut integriert:
In der Bülow-Kapelle, Grablege derer von Bülow, bewiesen die Verwandten von "Loriot" immer schon Humor:
"Weich, Teufel, weich weit von mir.
Ich schere mich nicht ein Haar um dich.
Ich bin ein mecklenburgischer Edelmann.
Was geht dich, Teufel, mein Saufen an?
Ich saufe mit meinem Herrn Jesus Christus,
wenn du, Teufel, ewig dürsten mußt,
und trinke mit ihm süße Kaltschale (?),
wenn du sitzt in der Höllenqual.
Darum rate ich: Weiche, laufe, renne und geh,
oder ich schlage bei dem Teufel zu."
Auch schön:
"Hier ruhet Peter Klahr.
Er kochte selten gar.
Dazu ganz unflätig.
Gott sei seiner Seele gnädig."
"Stammbaum" der Abtei Doberan - "Altenkamp" ist Kamp am Niederrhein.
Der Hirsch aus der Neugründungslegende, oder was von ihm übrig ist...
und ein Bild des Schwans dazu:
Flügel vom Corpus-Christi-Retabel:
Verkündigungsszene an der Ostwange des nördlichen Mönchgestühls:
Flügelrückseite des Hochaltars:
"Theater"-Grablege in der Chorscheitelkapelle - reformatorisch.
Oktogon (herzogliche Begräbniskapelle) hinter dem Hochaltar:
Kredenzschrank:
Exkurs/Nebenfrage:
In der Abtei Doberan gab es übrigens eine bemerkenswerte Reliquie (leider verschollen):
Heu vom Pferdefutter der heiligen Drei Könige.
Das spricht nicht nur für das (Er-)Findungspotential des Reliquienmarkts zur Kreuzzugszeit, in der das Kloster gegründet wurde, sondern wirft auch die Frage auf, um welch eine Reliquienart es sich handelt: Eine Primärreliquie ist ein Stück vom Körper eine Heiligen - diese Möglichkeit fällt natürlich aus. Eine Sekundärreliquie hat den Körper des Heiligen berührt - entfällt hier ebenfalls. Eigentlich gibt es ja keine Tertiärreliquien, aber diese Kategorie träfe ja auch nicht zu, denn nicht nur keiner der heiligen Könige hat das Heu berührt (was es zur Sekundärreliquie gemacht hätte; das war Aufgabe des Stallknechts), auch keines ihrer Pferde, die ja selbst Sekundärreliquien waren und das Heu damit zu Tertiärreliquien gemacht hätten. Denn das Heu ist ja noch da und somit von den Pferden nicht angerührt worden. Sagt man nun "potentielle Tertiärreliquie" oder einfach "Quartärreliquie"?
Althof - Kapelle:
Unweit von Doberan befindet sich das Doppeldorf Bartenshagen-Parkentin, an dessen Namen man die slawisch-sächsische Geschichte ablesen kann. Die Kirche steht auf einer Anhöhe in Parkentin, also vielleicht einem ehemaligen slawisch-heidnischen Kultort. Da ein Handwerker gerade die Tür renovierte, konnte ich hinein.
Gleich zweimal der Nothelfer Christophorus:
Weiter nach Rostock
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen