Mittwoch, 6. März 2024

SS. Marien und Johannes Segeberg und der heilige Volker



Quellen:

Dietrich Ellger, St. Marien Segeberg, München, Berlin (Deutscher Kunstverlag), 1992

Wikipedia

Stadt Segeberg mit einem geschichtlichen Überblick

Kurzinformation der Kirchengemeinde


Die Kirche St. Marien und St. Johannes in Segeberg ist Denkmal der Slawenmission in Holstein und steht an der Wiege der Backsteinkirchen im Ostseeraum. Die Geschichte ist - wie immer in Schleswig-Holstein - kompliziert, und die Quellen widersprechen sich zum Teil. Auch diese Zusammenfassung ist gewiß mangelhaft:


Von Neumünster aus gründete Vicelin nach dem ersten Scheitern der Wendenmission 1066 im slawischen Wagrien um 1130 an der Trave (der damaligen Grenze des Heiligen Römischen Reiches) ein Oratorium der Augustiner-Chorherren als Missionsstützpunkt.


Dies geschah im Zuge der von Kaiser Lothar III. (siehe auch hier) seit 1125 betriebenen „Ostkolonisation“, bei der Menschen aus dem niederdeutschen Sprachraum im Ostseeraum von Holstein bis ins Baltikum siedelten und das Evangelium verkündet wurde. 


1134 erbaute Kaiser Lothar auf Vicelins Rat auf dem Alberg eine Burg (die „Si(e)ge(s)burg“ -> „Segeberg“) und gründete zu ihren Füßen ein Kanonikerstift „zu Ehren Gottes, der Jungfrau Maria und des Evangelisten Johannes“. 


Die Patrozinien der Gottesmutter und des Evangelisten Johannes (die für die liebende Nähe zu Jesus stehen), sind (zu dieser Zeit bereits!) eigentlich typisch hochmittelalterlich; zuvor nahm man „starke Beschützer“ wie Petrus wegen der Himmelsschlüssel, Johannes den Täufer, „den Größten von einer Frau Geborenen“, oder einen Reichsheiligen wie Dionysius oder Martin. Doch schon 881 wählte Ansgar die Gottesmutter als Patronin für seine Missionskirche in Hamburg, den späteren Dom.


Die heidnischen Obotriten (ein Stamm der Wenden/Slawen) vernichteten das Stift 1138 (oder schon 1132; es bleibt kompliziert), wobei der hl. Volker zum Martyrer wurde. (Seine Gebeine wurden nach Neumünster übertragen und vielleicht später nach Bordesholm.)


Das niedergebrannte „Oratorium“ wurde durch eine der Gottesmutter geweihte romanische Basilika ersetzt, für die (in einem Land ohne Steinbrüche*) Backsteine verwendet wurden, und - ein Fortschritt zur Kathedrale von Oldenburg - deren Schiffe eingewölbt wurden (hier ist das erste Backsteingewölbe der Welt entstanden). Auch den klassischen romanischen Stützenwechsel hat man hier übernommen.


* Hier baute man bis dahin mit Holz und Granitfindlingen. In Segeberg gibt es, für das aus Gletschern geformte Holstein außergewöhnlich, einen einst 120 m hohen "Kalkberg", der allerdings keine Kalksteine, sondern Gips lieferte und wo heute die Karl-May-Spiele stattfinden.


Bereits die Stiftskirche in Neumünster (1147) und die Kathedrale von Oldenburg (1156-1160) waren aus Backstein erbaut worden, allerdings (jedenfalls Oldenburg) noch ohne steinerne Gewölbe.


Der Wunsch, dem wahren Gott große Basiliken aus Stein zu bauen ("monumentale Siegeszeichen des Christentums im einstigen Heidenlande", Ellger, s.o.), führte hier zur Wiedererfindung des Backsteins, der somit ein "Produkt des Evangeliums" ist. Auf Segeberg folgen als Gewölbebasiliken aus Backstein die Dome von Lübeck und Ratzeburg. Dann entstehen weiter im Osten Backsteinbasiliken wie z.B. (von West nach Ost) in WismarDoberan und Rostock und die preußischen Ordensburgen, siehe auch hier.


Die zuvor erbaute, dem hl. Johannes Ev. geweihte Pfarrkirche wurde dann abgerissen. Die Stiftskirche übernahm deren Patrozinium und wurde auch Pfarrkirche. 


Die Kirche entfaltet heute wegen ihres Schicksals ihre Würde nur bei genauerem Hinsehen: Die Apsiden in Haupt- und Nebenchören sind verschwunden; der alte Chorraum, der bis ins Mittelschiff reichte, ist nicht mehr erkennbar; Renovierungen der Neuzeit lassen den Bau neuromanisch erscheinen.






Die Kapitelle und Bogenzieren sind aus Gips... 



... wobei dieses "korinthische" Kapitell nicht vollendet worden ist:



Spätgotischer Kruzifix (Lübeck um 1500):



Der Hochaltar (Lübeck um 1515) ist nach dem Abriß des später errichteten "Mönchchors" in den alten, nun unhistorischen Kastenchor versetzt worden und war bei meinem Besuch in seinem Fastenzeitszustand zu sehen (hier die Festtagsseite):



Das Fenster darüber von 1910:



Die lutherisch-barock übermalte Fastenzeitsansicht des Hochaltars:







Taufbecken von Ghert Klinge (1447):



Blick nach Westen, wo gerade eine neue Orgel gebaut wird:



Die Kanzel (1612):



Fenster mit Kaiser Lothar III. im Nordquerhaus (1910):



Südliches Seitenschiff (Außenwand neuromanisch):




Klüngelige Gebetsecke im Nordquerhaus:



Klüngelig geht's auch im Südquerhaus zu...



... wo aber dieses Epitaph von 1562 erwähnenswert ist, das Heinrich Rantzau seinem Großvater Gert Walsdorp gestiftet hat, der in der Reformationszeit für den lutherischen Gottesdienst im Kirchenschiff gesorgt hat, während im Chor von den Kanonikern weiterhin der "normale Glaube" gepflegt wurde:



Statt Weihwasserbecken:



NB: Das Erzbistum Hamburg gedenkt des Hl. Volkers am 8. März, dem Fest aller Heiligen des Erzbistums. Aus den  biographischen Notizen der Eigenfeiern des Stundengebets von 1996, S. 127-128:

"Zu den Helfern des hl. Bischofs Vizelin († 12. 12. 1154) bei der Reorganisierung des Bistums Oldenburg gehörten Volker von Segeberg, der am 7. 3. 1138 gemartert wurde, sowie Rudolf, der am 26. 6. 1147 bei Lübeck auf der Flucht vor den Obotriten starb, und der vormalige Bremer Domdekan Dietmar († 18. 5. 1152). Nachfolger Vizelins wurde  der Schwabe Gerold, der zunächst als Kanoniker in Braunschweig lebte, den Bischofssitz nach Lübeck verlegte und 1163 den ersten Dom von Lübeck weihte († 13. 8. 1163 in Bosau)."


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