Dienstag, 31. August 2021

Bosau St. Petri


Bosau ist ein Ort des Friedens - so habe ich es jedenfalls bei meinem Besuch erlebt. Gut, das Wetter war schon, die Vögel zwitscherten und ich hatte Urlaub. Da kann dieser Eindruck leicht entstehen. Aber auch Menschen, die dort leben, haben mir das bestätigt.


In diesem wendischen Ort (Bozow) hatte der Bischof von Oldenburg bereits im 10. Jahrhundert einen Wirtschaftshof gegründet, der bei den Slawenaufständen zerstört wurde. Bischof Vicelin ließ sich Bosau von Heinrich dem Löwen schenken und nahm es zu seinem Sitz, da dies in Oldenburg nicht möglich war. (Nach anderer Auskunft lebte Vicelin in Neumünster, aber das muß ja kein Widerspruch sein.)


Vicelins Nachfolger Gerold ließ um 1200 eine kleine bischöfliche Basilika (dreischiffig mit Obergaden) errichten, die zu einer dörflichen Saalkirche umgebaut wurde, nachdem die Bischöfe von Oldenburg ihren Sitz ins aufstrebende Lübeck verlegt hatten.


Die Straßennamen erinnern an die Geschichte.



Helmold war Priester an dieser Kirche und hat in seiner um 1170 dem Lübecker Domkapitel gewidmeten Slawenchronik über die Christianisierung Wagriens berichtet (Text).



Eindrücke von außen:




Der "bischöfliche" Chorraum mit Apsis (im Unterschied zum Kastenchor der Pfarrkirchen):



Blick vom Friedhof, auf dem man sehr schön zu liegen kommt, auf den Großen Plöner See:



Die Nordwand "kann etwas erzählen"...



... aber auch die Südwand: Hier erkennt man unten die Seitenschiffenster der alten Basilika:



Das Südportal wurde - jedenfalls in seiner heutigen Form - erst 1900 eingerichtet. Die Tür ist aus dem Jahr 1969:




Man beachte den kaum für einen Treppenturm reichenden archaischen "Knubbel" am Turm, der auf dessen wechelhafte Geschichte hinweist:



Der Turm war einst rund, wie man hier sehen kann. Im Pflaster sind die Fundamente eines Rundbaus markiert, der nicht ausgeführt worden ist. Vermutlich war erst eine Rundkirche (oder eine an die Jerusalemer Grabeskirche erinnernde westliche Rotunde) geplant:



Der Kirchenraum:



Triumphkreuz von 1470 mit vier das Blut Christi auffangenden Engeln (vgl. Kreuzaltar in Doberan):



Empore ("Priegel") aus dem Jahr 1656 mit Passionsdarstellungen und dem Beleg, wer dafür wieviel bezahlt hat (unten mehr) - es gab einst ein Gegenstück auf der Südseite:



Kanzel (1636) mit Salvator Mundi...




... und einer Sanduhr, die dem Prediger, differenziert für vier unterschiedliche Amtshandlungen, die angemessene Predigtzeit anzeigt(e). (Eine solche habe ich auch in Rerik gefunden.) Die realistisch-weisen Inschriften lauten (Auszug): "Gott zu Ehren, der Gemeinde zum Besten" und "der Kirchen Zum Zierrath, Seinem Seelsorger Zu Liebe":



Chorraum:



Mittelalterliche "Ranken"- (eher Distel-) Malerei in der Apsis:



Das Hochaltarretabel von 1370 mit dem Pantokrator in der Mitte, darunter die Armen Seelen im Fegefeuer. Diesen flankieren die fürbittene Gottesmutter (links), ein weiterer fürbittender Heiliger (Johannes der Täufer?) sowie die zwölf Apostel:





Eine Tafel neben dem Altar berichtet:



"Vicelins Taufstein" (um 950):



Madonna (fränkisch, spätgotisch?):



Figur des hl. Vicelin, mehrfach verändert:



An der Südwand des Chorraums hängen Bilder des hl. Vicelin und von Pastor J. Piening, der ein Buch über die Boslauer Kirche geschrieben hat.



Retabel des 1464 gestifteten Altars "von dem heiligen Leichnam Jesu" (Fronleichnamsaltar) an der Südwand des Chores mit den Figuren der heiligen Petrus und Paulus, nachreformatorisch auf Kosten von Zilija Emken, Müllerin zu Richel, um die Flügel ergänzt:



Chorgestühl (15. Jh.?)



Eine der beiden "Logen" im Chorraum, in denen Gutsbesitzer und reiche Bauern dem Gottesdienst beiwohnten:



Blick nach Westen zur neobarocken Orgel von Klaus Becker (1972, heute Michael Becker):



Noch einmal das Triumphkreuz, diesmal von der Empore aus. Im Kopf des Cruzifixus wurden laut Bericht des erwähnten Pastors Piening 1916 ein Knochensplitter des heiligen Laurentius, ein Röhrenknochen des heiligen Mauritius, ein Knochenstück der Kölner Jungfrauen, ein Knochenstück eines heiligen Materianus (des Jünglings von Nain?) und ein Stein vom Berg Tabor gefunden. Ob sie wieder zurückgelegt worden sind, entzieht sich meiner Kenntnis.



Der Vollständigkeit halber Bilder von der nördlichen Empore. Die obere Inschrift lautet (ins moderne Hochdeutsch übertragen): "Zum Bau dieses Laienstuhls und zur Zier dieser Kirche haben verehrt diese nachfolgenden, namhaften und Gottes Ehre liebenden Männer: Ehler, Kliever, Bürger aus Lübeck: dreißig Mark. Basche, Tamm, zu Hassendorf: fünfzehn Mark. Freutz, Geertzen, zu Türcke: fünfzehn Mark. Hans Jappe, zu Budendorf: zwölf Mark. Hinrich Kasche zu Bichel: zwölf Mark. Zum Vermahlen (= zur Hochzeit oder darüberhinaus?) hat verehrt Christopher Hennings von Gudow: dreißig Mark. Jürgen Tötte zu Bichel: siebenundzwanzig Mark. S. Margaretha Burmeister: zehn Mark". - Wenn das mal kein lutherischer Ablaßhandel ist... ;-)







Zum Abschluß ein Blick auf das Gasthaus bei der Kirche, dessen Name meinen anfangs geäußerten Eindruck bestätigt:



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