Montag, 30. Oktober 2023

Lübeck: Dom / St. Nikolai unter dem Turme


Der Lübecker Dom (z. Zt. u. prot. Verw.) - Nachfolger der Missionskathedrale in Oldenburg und der Interimslösung in Eutin - liegt am Südrand der mittelalterlichen Stadt. 

Bischof Gerold, der den Bischofssitz 1160 hierher verlegte, bestimmte als Patrone für die neue Bischofskirche neben dem hl. Johannes dem Täufer (aus Oldenburg übernommen) und der im 12. Jahrhundert für Kathedralen üblichen Gottesmutter den heiligen Blasius, der ihm aus Braunschweig vertraut war, und den heiligen Nikolaus, da sich hier eine Pfarrkirche mit dessen Patrozinium befand, die als "St. Nikolai unter dem Turme" in den Dombau integriert wurde.

Der Dom wurde im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört (noch 1950 stürzten Gewölbe ein). Türme, Schiff und Querhaus wurden bald gesichert und in den 1960er Jahren wiederhergestellt. Der Wiederaufbau des Ostchores war 1973 vollendet.

Das romanische Paradies:




Auf der Nordseite, in einer geziemenden Domfreiheit, erinnert seit 1975 eine Kopie des Braunschweiger Löwen an die Gründung des Domes durch Heinrich den Löwen:



Der Nordturm war gerade wegen irgendeines pastoralen Projekts verschleift:


Die Nordseite des Schiffs (der Dom ist ursprünglich romanisch, dann aber gotisch erneuert worden):


Vor dem Westchor ist diese welfische Löwin erhalten; ihr "Gatte" ist im Zweiten Weltkrieg verbrannt:


Blick durch das Mittelschiff zu Triumphkreuz und Lettner (dazu unten mehr) ...


... mit der Marcussen-Orgel von 1970:






Daneben - ein Beispiel für viele prächtige Leuchter - die Müllerkrone (1.Hälfte des 15. Jh.):


Die reformatorische Kanzel von 1569:


Die südlichen Seitenkapellen (zu den Kapellen des Domssind nach der Reformation zu herrschaftlichen Grablegen geworden:



In der Vierung hat sich ein bemerkenswertes spätmittelalterliches Ensemble von Altären, Triumphkreuz und Lettner erhalten:

1477 hat Bischof Albert II. aus Krummersdick aus seinem Privatvermögen von Bernt Notke am Ostende des Langhauses dieses Triumphkreuz errichten lassen. "Mit dem Kreuz war die Stiftung eines 'Altars des heiligen Kreuzes und der 24 Ältesten' verbunden." (zit. Wolfgang Grusnick, Der Dom zu Lübeck, Königstein, o. J., 16). Vom Betrachter aus rechts unter dem Kreuz der Stifter des Triumphkreuzes:


Dahinter befindet sich der Lettner (Stiftung des Lübecker Bürgermeisters Andreas Geverdes von 1477) mit der Uhr (ursprünglich von Andreas Polleke, 1628). 

An der Südwestecke des Lettners ist der hl. Blasius mit einer Monstranz dargestellt. Da es in der Vita des Heiligen keinen besonderen Bezug zur Eucharistie gibt, könnte es sich bei der Monstranz um ein Reliquiar handeln und damit um einen Hinweis auf eine in Lübeck ehedem vorhandene Blasiusreliquie. Andernfalls (weniger wahrscheinlich) handelt es sich um um eine Darstellung des hl. Norbert.


Unter dem Lettner stand der erwähnte Kreuz- oder "Laienaltar" (1571 auf Weisung des lutherischen Bischofs Eberhard von Holle ersatzlos abgebrochen; Retabel im "Bocholter Stuhl" erhalten; s. u.).


An den Vierungspfeilern stehen (1978 nach dem Wiederaufbau aus dem St.-Annen-Museum wiedergekehrt):


1. im Südwesten der Altar der kanonischen Tageszeiten (erstes Drittel des 15. Jh.), auf dessen Retabel die Gebetzeiten der Kirche mit dem Leiden Christi verbunden werden.




- Matutin = Gefangennahme

- Prim = Verhör durch Pilatus

- Terz = Verhöhnung und Kreuztragung

- Sext = Kreuzigung

- Non = Tod

- Vesper = Abnahme vom Kreuz (daher "Maria Vesperbild")

- Komplet = Grablegung


Diese Gleichsetzung von Passion und Stundengebet geht auf die hochmittelalterliche Dichtung "Patris sapientia" zurück (näheres hier), das als Lied "Christus, der uns selig macht" bis heute im Evangelischen Gesangbuch enthalten ist (hier zur Komposition von Ludwig Selfl aus dem 16. Jh.).


2. im Nordwesten der Altar der Maria-Magdalenen-Bruderschaft der Stegnitzfahrer von 1422, der die Menschwerdung Gottes darstellt, gestiftet für die Pfarrkirche St. Nikolai von den Binnenschiffern, die über den Stegnitzkanal Salz von Lüneburg nach Lübeck brachten.



Im Mittelschrein die Madonna, begleitet von St. Katharina und St. Barbara (darunter ein Sockel für nicht mehr vorhandene Reliquien). Flügelinnenseiten (v. o. l. n. o. r.): Verkündigung, Heimsuchung, Geburt, Anbetung.


3. im Nordosten der Altar der Heiligen Leichnamsbruderschaft der Mühlenknechte von Hans Hesse (1560; hat auch in Schweden einen Altar geschnitzt) mit Maria als der apokalyptischen Frau zwischen dem hl. Martin (mantelteilend) und der hl. Katharina (den Fuß auf Kaiser Maxentius setzend).


4. im Südosten der Marienaltar mit Bild von der Einhornjagd, 1506 von Domvikar Johannes Parchem im Geiste der "devotio moderna" gestiftet, vermutlich gegen den Widerstand der Domkapitulare, die dieser "neuen geistlichen Bewegung" skeptisch gegenübergestanden haben dürften.



Mittelbild: Einhornjagd als Bild für die Verkündigung Christi mit Erzengel Gabriel mit Lanze, Horn und vier Hunden, die (nach Bernhard von Clairvaux) für die Tugenden Wahrheit und Gerechtigkeit einerseits und Barmherzigkeit und Friede andererseits stehen, die ob der Sünde des Menschen miteinander im Streit liegen. Die Menschwerdung Gottes und der Gehorsam Christi hat sie miteinander versöhnt (vgl. Ps 84/85, 11; nach Grusnick, Der Dom..., s.o.).


Nachreformatorisches (!) Bild des Nothelfers St. Christophorus von 1665 an der Nordwand des Querhauses. Ob Luther sich bei der Aufhängung des Bildes gegen einen jähen Tod (d.h. ohne Buße und Sterbesakramente) im Grab umgedreht hat, ist unsicher; der lutherische Pfarrer und Dichter Georg Weissel jedenfalls dichtete 1642 erbost: "Such, wer da will, Nothelfer viel"):


Unter dem Lettner geht es in den einstigen Hochchor, der erst 1317 unter dem zwölften Bischof von Lübeck, Heinrich von Bocholt, errichtet, nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg 1973 wieder aufgebaut worden, nun durch eine Glaswand getrennt und zum Baptisterium gemacht worden ist.

Das Retabel des alten Kreuz- und Volksaltars im "Bocholter Stuhl" (1477; einst im mittleren Lettnerbogen; die Ostseite schloß das Chorgestühl nach Westen ab) ist heute dahinter und falsch herum am Übergang zum neuen Baptisterium aufgestellt. Auf seiner einstigen Westseite sind der Pfarrpatron St. Nikolaus und der Dompatron St. Blasius dargestellt, auf der einstigen Chorseite St. Clemens, die Gottesmutter mit Jesus, St. Johannes der Täufer und St. Agnes:




Das 1455 von Lorenz Grove gegossene bronzene Taufbecken hat hier - unpassenderweise im Osten - seinen neuen Platz gefunden:


Der Hochchor ist heute ein vor allem leerer Raum mit Gräbern, in der Mitte das des Bischofs Heinrich von Bocholt, der ihn vollenden ließ und von dem der erwähnte "Bocholter Stuhl" stammt... 





... und u.a. dem des Bischofs Gerold, der den Oldenburger Bischofssitz nach Lübeck verlegt und hier den Dom erbaut hat:


In der 1455 gebauten Scheitel- oder Marientildenkapelle befindet sich das 1699/1700 errichtete Grabmal des 1705 verstorbenen Fürstbischofs August-Friedrich von Thomas Quellinus, der auch den Hochaltar für St. Marien gemacht hat:


"Hochwürdige" Grabmäler im nördlichen Ostchor:


Reste der mittelalterlichen Ausstattung des Hochchors:




Blick aus dem Ostchor nach Westen:

Keine Kommentare: