Dienstag, 22. Oktober 2013

Vrije dag in Gouda - oder: Versteh mir einer die Protestanten!

Viel zu selten fahre ich an meinem freien Tag (tiefer) in die Niederlande. Heute war es endlich mal wieder möglich: Es ging nach Gouda.



Rathaus:


Hier wird der Käse gestapelt (Waaghaus):



Spektakulär in mehrfacher Hinsicht ist die Hauptkirche St. Johannes (Sint Jan), mit 123 m Länge die größte Kirche der Niederlande, ein fünfschiffiger spätgotischer Bau.

Wenn man sieht, wie reich die Städte in den heute protestantischen Niederlanden im Spätmittelalter gewesen sein müssen, um sich solche Kirchen zu gönnen, kann man die Gelüste nachvollziehen, sich vom Römischen Reich (samt steuer- und truppenziehendem Kaiser) und (das war die nötige Methode) vom normalen Glauben (zit. Beikircher) loszusagen. (War aber trotzdem falsch!)



Rund um die Kirche:





Kurz vor der Reformation hat die Johanneskirche gebrannt. Beim Wiederaufbau begann man mit einem wunderbaren Fensterzyklus im Rennaissancestil erster Qualität.

Nach der Übernahme der Kirche durch die Protestanten entschlossen diese sich - ganz gegen die Bilderfeindlichkeit der Reformierten, aber ganz getreu dem ihnen eigenen Verhältnis zum Geld (war ja gerade erst bezahlt) - die vorhandenen "katholischen" Bilder nicht nur beizubehalten, sondern (und das ist das Besondere) den Zyklus zu vollenden. Es ist unglaublich! Auf dieser Netzseite kann man die Fenster in sehr guter Qualität bewundern. Hier sind sie nur stümperhaft und - da ohne Stativ oft aus ungünstiger Perspektive - aufgenommen.





Mitten in der Kirche hat man im 19. Jahrhundert ein gediegenes reformiertes Predigtzentrum eingebaut, das dem ganzen Raum zuwiderläuft, aber in seiner Konsequenz und Qualität durchaus etwas hat. Kenner erkennen natürlich das jüdisch-altchristliche Bema (schola cantorum) wieder. ;-)









Darf in keiner protestantischen Kirche fehlen:



Und damits auch klappt:






Natürlich und gut reformiert: Die Zehn Gebote in sakraler Darreichungsform:




Aus einem "Regulierenconvent" (Regularkanoniker)? erhaltene Fenster wurden in einer 1934 eigens dazu angebauten "Kapelle" eingebaut:





Tja, und selbst eine aus altkirchlichen Zeiten erhaltene Altarplatte ist im Museumsteil ausgestellt:



Einige Eindrücke von den Fenstern:

Judith macht kopflos:



Tempelweihe:

Darunter das Letzte Abendmahl (man beachte die Inschriften):



Der zwölfjährige Jesus im Tempel:



Das Opfer des Elias:



Das Fenster der Befreiung (nach der Besatzung durch die Deutschen):



Tempelbau Salomons:



Sonntag, 29. September 2013

Apulien - azzurro


Für die Lektüre dieses Beitrags empfehle ich ein Glas salentischen Weißweins, ein Schälchen Oliven und Musik.

Unten führen unter den Ortsnamen Weiterleitungen zu einer ausführlichen Bilderschau und weiteren Schilderungen.



Apulien ist der „Absatz“ des Italienischen „Stiefels“ – hierhin führte mich mein Jahresurlaub. 


Auslöser war die Heiligsprechung der 800 Martyrer von Otranto, die im Jahr 1480 den von den türkischen Eroberern verlangten Übertritt zum Islam verweigerten und darum geköpft wurden. Eine ganze Stadt stirbt für Christus, für die Freiheit, für die Freude!



Otranto, Kathedrale, Martyrerkapelle

Ich hatte von Süditalien keine Vorstellung. Ich vermutete, es sei irgendwie schon halb Afrika. In bezug auf die Vegetation hatte ich mich nicht geirrt – hier wachsen - neben unzähligen Olivenbäumen - Kakteen meterhoch als Unkraut; auf den Feldern liegen viele Steine bloß; weite Landstriche sind „karstig“. 

Im Großen und Ganzen ist auch in Süditalien der Wertekanon der EU übernommen worden: Sparlampen selbst an feingeschmiedeten Jugendstilleuchtern, farbenfrohe Gruselphotos auf den Zigarettenpackungen usw.. Dennoch fiel auf, daß man z. B. im Bus auf dem Flughafen nicht etwa political correct zertifizierte Aircondition-Luft zu atmen bekam, sondern altmodisch bei offenem Fenster fuhr, und daß manche Treppe oder Hafenmauer nicht mit einem Geländer versehen war... Hier hat Herr Barroso noch einiges zu erledigen. :-)

Die historischen Stadtkerne sind bestens restauriert, sauber und gepflegt – das fiel richtig auf. Hier scheinen EU-Fördergelder sinnvoll eingesetzt worden zu sein.


Überrascht war ich von den Menschen und ihren Städten: Man trifft auffallend viele „nordische“ Typen, große, oft sogar blonde oder rotharige Menschen. Bei manchem Kind dachte ich: Das könnte jetzt auch Bennätzken aus Rinkerode sein. Wohl Sprosse der normannischen und auch anderen "transalpinen" (deutschen) Einwanderer aus dem Mittelalter.

Übrigens backt man hier das Brot mit Zimt. Und die Tarantel (von Taranto, Tarent) ist überall als Zierde und Souvenier präsent.


Auch nach 14 Tagen war übrigens das Mietauto weder gestohlen noch aufgebrochen; ich war nicht in eine Messerstecherei mit der Mafia geraten, ja mehr noch: Der Taxifahrer am Flughafen schaltete unaufgefordert das Taxameter ein, erhob keine dubiosen Zuschläge und war sehr dienstbeflissen. Im ganzen Urlaub habe ich nur einen halbherzigen Versuch erlebt, mich übers Ohr zu hauen. Ich gestehe ehrlich: Ich war sehr angenehm überrascht und kann eine Reise nach Apulien sehr empfehlen, zumal das an sich teuere Urlaubsland Italien hier auffallend moderate Preise kennt.


Wie das geht, ist mir allerdings schleierhaft. Zum Beispiel wurde ich beim Kauf von etwas Brot, Wurst und Käse, zwei Tomaten, Wasser und Wein in einem Supermarkt von fünf Personen bedient: einer an der Brottheke (alles frisch), einer an der Wurst- und Käsetheke (ebenfalls), einer wog am Gemüsestand die Tomaten aus (nehmen mußte man sie sich selber), eine junge Dame kassierte, eine zweite packte die Sachen in eine Plastiktüte.


Viele italienischen supermercati und Bars sind Familienbetriebe. Wenn die Kinder aus der Schule kommen, helfen sie mit. Ich hatte aber den Eindruck, daß hier Arbeitslosigkeit durch (schlecht bezahlte) Beschäftigung vermieden wird, eingedenk der Erkenntnis: „Während der amerikanische, auf kurzfristigen Gewinn ausgelegte Neo- Kapitalismus weltweit verheißt: »jeder ist seines Glückes Schmied«, stimmt der Rheinische Kapitalismus sein eigenes Lied an: »Drink doch ejne mit!« Und dies keineswegs aus karitativen Erwägungen, sondern aus fester Überzeugung, denn: Der Umsatz ist langfristig am größten, wenn alle mittrinken!" (Jürgen Becker)

Beherrschend ist darüber hinaus das "azzurro" - jenes mediterrane Blau des Himmels und des Meeres, das einfach nur schön und heiter ist.



(Da läßt sich gut Kaffeetrinken.)

Apulien gehört zum Reich Kaiser Friedrichs II., jenes "stupor mundi", als Straßenkind in Palermo aufgewachsen, vertraut mit dem Islam, ein freier Geist mit genialen wie auch rätselhaften, ja grausamen Zügen - man erinnere sich an jenes Experiment mit Neugeborenen, die Ihren Müttern weggenommen und mit denen nicht gesprochen werden durfte, um die Ursprache herauszufinden. Sie starben alle.

Friedrich war Staufer, Schwaben- und Normannensproß. Die Burgen bzw. Wehranlagen in Apulien werden meist "castello svevo" genannt (schwäbische Burg), so wie es auch ein Mineralwasser der Marke "Svevia" gibt. Friedrich war Zeitgenosse von Walther von der Vogelweide und (vermutlich) Gesprächspartner von Franz von Assisi und Leonardo Fibonacci 

Die Geschichte Italiens südlich des Kirchenstaates, jenes Königreichs beider Sizilien, wie es am Ende hieß, das ich nie wirklich auf dem Schirm hatte, findet sich hier im Überblick.

Otranto liegt, gut 80 km von Albanien und Griechenland entfernt, am Übergang der Adria in das Ionische Meer. Am östlichsten Punkt Italiens, am Leuchtturm südöstlich von Otranto bekam ich übrigens eine Tarif-Info-SMS: "Willkommen in Griechenland..." ;-)

Der italienische Süden wird auch Großgriechenland genannt, weil es seit dem 8. Jahrhundert vor Christus von den Griechen kolonisiert wurde, die man Westgriechen nennt. Es gibt bis heute griechische Sprachinseln. Viele Kirchen, vor allem derer Bemalung sind im griechisch-byzantinischen Stil gehalten. Der byzantinische Ritus wurde weitgehend bis ins 15. Jahrhundert gepflegt. Die Glocken werden bis heute "gedengelt". Bemerkenswert ist das Anschlagen zum Angelus: nicht 3x3, wie bei uns, sondern 3-5-7 mal.

Hier ist auch das "Ende der Erde" zu besuchen: Santa Maria di Leuca - ganz am Ende des Stiefelabsatzes, gut behütet von „Santa Maria de finibus terrae“. 
Santa Maria di Leuca


Santa Maria di Leuca, Wallfahrtskirche


Santa Maria di Leuca, Statue Papst Benedikt XVI.


Santa Maria di Leuca


Santa Maria di Leuca
Santa Maria de finibus terrae
(Heilige Maria von den Enden der Erde)
I


Santa Maria di Leuca
Santa Maria de finibus terrae
(Heilige Maria von den Enden der Erde)
II


Santa Maria di Leuca
Erste Station, wo der heilige Nikolaus von Myra begraben liegt, war BARI.
Bari


Weiter gings, und das "Basislager" für die nächsten zwei Wochen war dann auch in der Nähe von Otranto.


Eindrücke von der Gegend und der uralten Kulturlandschaft:



Porto Badisco


Santa Cesarea Terme


Vaste, steinzeitliche Höhlenwohnungen


Vaste, Grottenkirche


Vaste, Grottenkirche


Vaste, frühgeschichtliches Haus
Auffällig viel Hochzeiten habe ich gesehen, gerne auch mal z. B. an einem Montag um 11 h; hier in Santa Maria di Leuca

- in der Wallfahrtskirche am "Ende der Erde"




- und in der neuromanischen Stadtpfarrkirche:




Ebenso auffällig ist die ungebrochene Verehrung des hl. Pater Pio; keine Bar, kein Geschäft ohne sein Bild. Seine Grabeskirche in San Giovanni Rotondo war für einen Besuch zu weit weg. Ich glaube, die Architektur hätte mich ohnehin nicht "abgeholt"...


Eine dritte "aktuelle" Auffälligkeit war Nutella: Überall bekommt man Nutella-Crêpes, zum Teil sogar Nutellapizzen. Naja, wenns schön macht...


Nun zu den einzelnen Orten. 
Zum Betrachten der Bilder (wie schon oben oder hier bei BARIbitte auf den Ortsnamen oder die Bildunterschrift klicken, dann gehts weiter.

Ich nahm Quartier in der Nähe von Otranto und besuchte die Stadt immer wieder gern:



OTRANTO
Otranto

GALATINA

hat eine gotische Kirche, St. Katharina, die von oben bis untern bemalt und gut erhalten ist. Bezeichnend ist die Lebendigkeit der Malerei. Besonders schön sind die Wasserleichen bei der Sintflut dargestellt...



Galatina, Santa Caterina

GALLIPOLI

(griechisch: Schöne Stadt), eine auf einer Halbinsel gelegene Hafenstadt mit stark griechischem Flair. 


An diesem Tag war mal schlechtes Wetter, so daß man bei der Rückfahrt auf die Strömung achten mußte.



Gallipoli


LECCE


wird als die Barockstadt gepriesen. Na, ja. Spektakulär ist, was aus der Zeit vor dem Barock noch übrig ist.

Lecce, SS. Niccolo e Cataldo


MURO LECCESE - Santa Marina


lohnt sich wegen des nur garagengroßen Kirchleins Santa Marina.



Muro Leccese, Santa Marina

SOLETO - San Stefano

Hier steht die Kapelle Sankt Stephanus - ganz bemalt mit griechischen Fresken, sehr gut erhalten und von einer bemerkenswerten "Präsenz":



Soleto, San Stefano



NARDÒ

verdient die Bezeichnung "Barockstadt" mehr als Lecce. Aber auch Mittelalterliches gibt es zu sehen. 

Nardò


CASTEL DEL MONTE



Castel del Monte


BARLETTA



Barletta


TRANI



Trani - Kathedrale am Meer


BITONTO



Bitonto