Am Sonntag nach dem Fest der heiligen Elisabeth von Thüringen habe ich eine Wallfahrt zu ihrer Grabeskirche in Marburg gemacht. Das Grab ist zwar leer und der Schrein auch, weil die Kirche zur Zeit unter protestantischer Verwaltung steht. Aber das stecken geistlich wir locker weg. Die meisten Gebeine befanden sich bereits vorher anderswo. Und das Grab ist ja eine Berührungsreliquie. ;-)
Die Grabeskirche der heiligen Elisabeth ist die älteste gotische Kirche östlich des Rheins, vom Deutschen Orden unter finanzieller Beteiligung der Markgrafen von Thüringen 1235-83 errichtet und der Gottesmutter geweiht.
Viel bessere Bilder und virtuelle Rundgänge findet man hier. Weitere Informationen findet man hier und anderswo (hier zur Baugeschichte), so daß ich mich hier auf diese wenigen Anmerkungen beschränke (und einige weitere zu den folgenden Bildern):
- Die Kirche wurde so erbaut, daß das nördliche Querschiff über dem Grab der heiligen Elisabeth steht (mit 15° Abweichung zur Hospitalkirche der Elisabeth, unter dessen Chorraum sie bestattet wurde).
- Der Deutsche Orden wurde beauftragt, das Heiligtum zu hüten, das nach Elisabeths Tod rasch zu einem der bedeutendsten Wallfahrtsorte Europas wurde.
- Die Kirche ist zugleich Grablege der Landgrafen von Hessen.
Es war November, das Licht entsprechend schlecht, daher sind die Bilder nicht so gut. In meinem Archiv hatte ich noch einige Bilder von einem früheren Besuch an einem strahlenden Wintertag. Das erklärt den Wechsel der Lichtverhältnisse.
Mit dem Zug kommt man in einem netten historistischen Bahnhof von 1850 an.
"Das ist aber kein schönes Bild", wird der geneigte Leser bei diesem Anblick denken, und hat recht. Es ist der Blick auf die Stadt vom Bahnhof aus (büßerische Städteplanung der deutschen Nachkriegszeit) - man hat durch die Schönheit einen Strich aus Beton gezogen.
Über der Stadt thront das Schloß der hessischen Landgrafen:
Vogel auf einer Fiale des Nordturms:
Das Eigentümliche der deutschen Gotik ist, daß man von der Basilikaform abweicht, die Seitenschiffe auf die Höhe des Mittelschiffs hochzieht, so daß eine Hallenkirche entsteht. In dieser frühen Form haben die Seitenschiffe aber noch zwei Geschosse:
Trotz der Reformation und eines Bildersturms ist die Kirche ein erstaunlich geschlossenes vorreformatisches Ensemble geblieben. Man vermißt zwar das Verlorengegangene, freut sich aber viel mehr über das Erhaltengebliebene.
So ist z. B. der Lettner 1619 bei einem "anticalvinistischen (???) Bildersturm" seiner Heiligenfiguren und der krönenden Kreuzigungsgruppe beraubt worden. Aber er steht noch und macht eine gute Figur:
Der Boden kann was:
Die wegen ihrer Darstellung so genannte "französische Elisabeth im Chörlein" am Eingang zum Nordquerhaus und zum Grab der heiligen Elisabeth:
Das Grab:
Es gibt fünf Nebenaltäre in der Kirche, hier der Katharinenaltar (links) und der Elisabethaltar (rechts) im Nordchor, beim Elisabethgrab. An dessen Westende stand der Marienaltar, der heute - horribile dictu - nach Nordwesten umgelegt ist:
Die Tumba des Elisabethgrabs. Darauf steht noch die mittelalterliche Almosendose:
In die Predella des Marienaltars hat
Ludwig Juppe, der um 1500 die Retabeln für die fünf Nebenaltäre erschaffen hat, das aus Kalkstein gefertigte Marburger Vesperbild von 1385 integriert:
Der nach verschiedenen Zerstörungen verbliebene Bestand der mittelalterlichen Fenster ist im Hochchor und in den Querhäusern zusammengetragen worden. (Das Langhaus ist inzwischen ganz weiß verglast, damit man, gut protestantisch, im Gesangbuch lesen kann.)
Der Levitenstuhl (Sitz für Priester, Diakon und Subdiakon):
Über dem Zelebranten steht die heilige Elisabeth als Kirchenstifterin (ebenfalls von Juppe, Anfang 16. Jh.):
Hochaltar, 1290 geweiht, Farben nach originalen Resten wiederhergestellt, die drei linken Figuren im 19. Jh. ergänzt:
Auf der Rückseite des Hochaltars hat man mit einer Empore begonnen, auf der der Elisabethschrein aufgestellt werden sollte, so daß die Pilger unter ihm hätten hergehen können. Oder hat er dort schon gestanden und ihn bei der Reformation entfernt und die Empore abgebrochen?
Dahinter, im unteren Teil des Ostfensters, vier Schöpfungsbilder (14. Jh.):
Das (z. Zt. leere) Tabernakel nördlich des Hochaltars:
Am südwestliche Pfeiler des Hochchors hängt seit unvordenklichen Zeiten ein barockes, also nachreformatorisches (!) Weihrauchfaß:
Das Südquerhaus, Grablege der Landgrafen von Hessen:
Hier im Südquerhaus sind die von Ludwig Juppe um 1500 erschaffenen Retabeln in den Altarnischen verblieben. Die Gegenstücke im Nordquerhaus hat man entfernt, um die hochmittelalterliche Bemalung sichtbar zu machen, und in den Seitenschiffen aufgehängt (keine Bilder).
Besonders schön ist das Grabmal von
Wilhelm II. († 1509) und seiner Gemahlin gestaltet: Am Fußende beten (vermutlich) Deutschordensherren das Totenoffizium für sie...
... am Kopfende bitten Engel - vereint mit ihnen nach Osten blickend - für die Verstorbenen:
Die ästhetisch nicht gelungene
Klais-Orgel vor dem ästhetisch ebenso unpassenden Meistermannfenster:
In den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges wurden auf Befehl Adolf Hitlers die Leichname des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und seiner Gemahlin aus Tannenberg vor der herannahenden russischen Armee "gesichert". Sie wurden 1946 im Nordturm der Kirche in einem pompös-miefigen "Totenehebett" beigesetzt. Auch die in den letzten Kriegstagen "geretteten" Leichname der preußischen Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. waren vom 1946 bis 1952 im Nordquerhaus der Kirche beigesetzt.
Gang in die Stadt:
Marburg ist eine Studentenstadt. Die Kritzeleien haben Niveau:
Landgraf Ludwig stiftete nach der Reformation einen neuen Altar...
... und ließ bekunden: "Es ist das Kreuz Christi unser Heil, durch das er hinaufgestiegen ist in den Himmel. - Ludwig, Fürst der Hessen, aus gläubigem Herzen." (Das Wort "fideli" - gläubig - ist aus lutherischen Gründen wie im Magazin "
Mad" als "Gag" graphisch hervorgehoben.)
Trotz aller reformatorischen Neuerungen hat man in einer versteckten Lage das Fenster von St. Elisabeth und St. Georg (Nothelfer!) bewahrt:
Böse gesagt: Die landeskirchlichen Protestanten gingen immer schon gerne mit der Politik ins Bett:
Der Eingang der Kirche läßt auf eine Renovierung der 1970er Jahre schließen und für das Innere Schlimmes befürchten:
Doch, siehe da: Man hat die 70er überwunden:
Gedenkstein im Westen:
"Nachdem die Kirche durch Entstellung verdorben worden war, ist sie durch nach Osten ausgerichtete Altäre in der vorigen Form wiederhergestellt und durch den Einbau einer Sängerempore erweitert worden im Jahres des Herrn 1890."
Kaiser Wilhelm I. hat hier studiert. Unter seiner Regierung ist später der neugotische Bau errichtet worden.
"Den Betrachtern: Wilhelms I., des Kaisers und Königs akademisches Gebäude, vormals Sitz des Dominikanerordens, den Philipp der Großmütige im Jahr 1527 seiner Universität übergeben hat, ist (a solo = vollständig?) erneut errichtet und am 29. Mai 1879 eingeweiht worden."
Ein Blick über die Universität zum Schloß im wilhelminischen Stil:
Von dort zurück zur Elisabethkirche kommt man an den Resten des Elisabeth-Hospitals des Deutschen Ordens vorbei, das zeitgleich mit der Kirche errichtet wurde:
Etwas unscharf und gerade deshalb charmant grüßt die heilige Elisabeth aus Marburg:
Elisabeth-Rosenkranz