Montag, 30. Oktober 2023

Lübeck


Die Hansestadt Lübeck ist nicht nur wegen ihres reichen mittelalterlichen Erbes, sondern auch kirchlich bemerkenswert, ist sie doch Bischofssitz des ursprünglich vom hl. Vicelin gegründeten Bistums Oldenburg gewesen und im 20. Jahrhundert zum Ort eines vierfachen christlichen Martyriums geworden.


Hier werden - neben einigen Bildern aus der Stadt - die Kirchen Lübecks dargestellt. 


Zur Übersicht ein Modell der Stadt (genordet aufgenommen):



Ich beschreibe die Kirchen - nach der Einführung "Stadt, Holstentor und Rathaus" - vom Dom aus dem Uhrzeigersinn nach.


Man klicke schon jetzt auf (jeweils im Modell zu sehen)…


- Dom / St. Nikolai (unten)

- St. Petri (links vorne)

- St. Marien (links hinten)

- St. Jakobi (oben)

- Heiligen-Geist-Hospital (bei St. Jakobi)

- St. Katharinen (rechts unter St. Jakobi)

- St. Ägidien mit Sankt Annen und Synagoge (rechts)

- Herz-Jesu / Gedenkstätte der Lübecker Martyrer (nicht zu sehen, aber unten)


… oder lese hier weiter, um am Ende zu den einzelnen Beiträgen zu gelangen.


Die Geschichte (Ost-)Holsteins in knappsten Zügen: Den schmelzenden Eiszeitgletschern folgen Rentierjäger. Die Angeln, Sachsen und Jüten siedeln größtenteils nach Britannien über. Slawen (Wenden, Obotriten) kommen als Flüchtlinge vor den Hunnen in den weitgehend menschenleeren Raum. Im Zuge der deutschen Ostkolonisation kommen (grob gesagt) Rheinländer und Sachsen (Westfalen) ins Land, und die Slawen werden Christen.


Der heilige Bischof Vicelin gründete um 970 das Bistum Starigrad/Oldenburg, dessen Sitz vorübergehend nach Eutin und dann - bis zur Reformation einstweilen endgültig - nach Lübeck verlegt worden ist.


Heinrich der Löwe (Herzog von Bayern und seit 1142 von Sachsen, Rivale Kaiser Barbarossas) „sorgte für die Klärung der verworrenen Machtverhältnisse im nordelbingischen Raum. Graf Adolf II. von Schauenburg wurde 1143 von ihm mit der Grenzlandschaft Holstein-Stomarn belehnt, und auch die Halbinsel Wagrien wurde in diese Regelung einbezogen.“ (Zit. aus Wolfgang Grunsnick, Der Dom zu Lübeck, Königstein, o. J., 2)


Graf Adolf von Schauenburg hatte bereits 1138 auf dem Hügel Buku zwischen Trave und Wakenitz eine christliche Kaufmannssiedlung gegründet. Sie übernahm den Namen der slawisch-heidnischen Siedlung Liubice (9. Jh.?), die sich einige Kilometer traveabwärts befunden hatte und 1138 niedergebrannt worden war. 1143 verlieh Graf Adolf Neu-Lübeck die Stadtrechte. Die Stadt „trat bald in Konkurrenz zu den Handelsplätzen Heinrichs des Löwen. (…) Darum gründete Heinrich der Löwe wenige Kilometer südöstlich (…) auf eigenem Land die nach ihm benannte Löwenstadt, die aber (…) keinen Aufschwung nehmen konnte. Schließlich fand sich Graf Adolf doch bereit, Heinrich dem Löwen die Halbinsel Lübeck gegen erhebliche Geldleistungen anzutreten. Damit wurde die (erneute) Neugründung Lübecks (…) 1159 möglich. Kaufleute aus Westfalen und dem Rheinland ließen sich (…) nieder.“ (Zit. ebd.)


Übrigens wurden, wie ich irgendwo gelesen habe, bereits bei der Gründung der Stadt alle fünf Pfarrkirchen errichtet, obwohl diese z. T. nur wenige Minuten zu Fuß auseinanderliegen und die Stadt "nur" 11.000 Einwohner hatte. 


„Auf dem Reichstag zu Goslar im Jahr 1154 hatte Kaiser Friedrich I. Barbarossa dem Herzog das Recht zugestanden, in Nordelbingen Bistümer zu errichten. (…) Ein alter Streit zwischen dem Erzbischof von Bremen und Heinrich dem Löwen wurde damit zugunsten Heinrichs entschieden“ (zit. ebd.). 


Der Investiturstreit ging hier zugunsten der weltlichen Macht aus: „Da Heinrich der Löwe Kaiser Friedrich auf seinem Zug nach Rom begleiten musste, nahm seine Gattin Clementia das Recht der Investitur wahr und bestimmte den Hofkaplan am Braunschweigischen Hof, Gerold, zum neuen Bischof von Oldenburg. Als der Erzbischof von Bremen die Bischofsweihe ablehnte, begab sich Gerold zu Heinrich dem Löwen, begleitete ihn nach Italien und wurde auf Drängen Heinrichs einen Tag nach der Kaiserkrönung Friedrichs durch Papst Hadrian IV. zum Bischof geweiht. Bischof Gerold nahm seinen Sitz zunächst in Eutin, da das Oldenburger Gebiet durch Auseinandersetzungen mit den Wenden zu unsicher war. Angesichts der günstigen Entwicklung der neugegründeten Stadt Lübeck hat er, (sic!) den Bischofssitz dorthin verlegen dürfen." (Zit. ebd. 4) 


Lübeck ist mit Holstein zur lutherischen Reformation übergegangen. Das Bistum wurde unter Beibehaltung des Domkapitels als „Hochstift Lübeck“ weltlich und vererbbar weitergeführt, bis es nach der Säkularisation durch den Tod der Kapitulare nach und nach ausstarb


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Lübeck: Stadt, Holstentor und Rathaus

Blick von Westen auf die Stadt (v.l.n.r. St. Marien, Holstentor, St. Petri):



Blick auf das Holstentor von Osten:





Auf der stadteinwärtigen Seite befindet sich eine Figur der Gottesmutter:



Ein hanseatisch-stolzes aus aus den 1920ern (?) in der Sandtraße:



Neue Häuser bei St. Marien:



Blicke von der Breiten Straße in die Pfeffergrube und die Pfaffenstraße (wenn ich mich recht erinnere):




Mittelalterliches Haus in der Kapitelstraße, das offenkundig zum Dom gehört(e):


Häuser von "Pfeffersäcken" in der Dankwartsgrube...


... von der, wie in anderen Straßen auch, Gänge zu dahinter gelegenen Häusern der Ärmeren abgehen:



Die nach dem Zweiten Weltkrieg "autogerecht" sanierte Mühlenstraße... 


... mit Blick auf St. Marien und das Rathaus:


Von hier geht es über das "Fegefeuer" zum Dom.

Das mittelalterliche Rathaus ist zwar vornehm, aber nicht prächtig:





Blick vom Markt auf das Rathaus mit Renaissance-Vorbau und auf St. Marien:


Bevor es zu den einzelnen Kirchen weitergeht, ein Blick von der Obertrave auf die Handelshäuser beim Holstentor:


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Auf diesem Blog dargestellte Orte

Lübeck: Dom / St. Nikolai unter dem Turme


Der Lübecker Dom (z. Zt. u. prot. Verw.) - Nachfolger der Missionskathedrale in Oldenburg und der Interimslösung in Eutin - liegt am Südrand der mittelalterlichen Stadt. 

Bischof Gerold, der den Bischofssitz 1160 hierher verlegte, bestimmte als Patrone für die neue Bischofskirche neben dem hl. Johannes dem Täufer (aus Oldenburg übernommen) und der im 12. Jahrhundert für Kathedralen üblichen Gottesmutter den heiligen Blasius, der ihm aus Braunschweig vertraut war, und den heiligen Nikolaus, da sich hier eine Pfarrkirche mit dessen Patrozinium befand, die als "St. Nikolai unter dem Turme" in den Dombau integriert wurde.

Der Dom wurde im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört (noch 1950 stürzten Gewölbe ein). Türme, Schiff und Querhaus wurden bald gesichert und in den 1960er Jahren wiederhergestellt. Der Wiederaufbau des Ostchores war 1973 vollendet.

Das romanische Paradies:




Auf der Nordseite, in einer geziemenden Domfreiheit, erinnert seit 1975 eine Kopie des Braunschweiger Löwen an die Gründung des Domes durch Heinrich den Löwen:



Der Nordturm war gerade wegen irgendeines pastoralen Projekts verschleift:


Die Nordseite des Schiffs (der Dom ist ursprünglich romanisch, dann aber gotisch erneuert worden):


Vor dem Westchor ist diese welfische Löwin erhalten; ihr "Gatte" ist im Zweiten Weltkrieg verbrannt:


Blick durch das Mittelschiff zu Triumphkreuz und Lettner (dazu unten mehr) ...


... mit der Marcussen-Orgel von 1970:






Daneben - ein Beispiel für viele prächtige Leuchter - die Müllerkrone (1.Hälfte des 15. Jh.):


Die reformatorische Kanzel von 1569:


Die südlichen Seitenkapellen (zu den Kapellen des Domssind nach der Reformation zu herrschaftlichen Grablegen geworden:



In der Vierung hat sich ein bemerkenswertes spätmittelalterliches Ensemble von Altären, Triumphkreuz und Lettner erhalten:

1477 hat Bischof Albert II. aus Krummersdick aus seinem Privatvermögen von Bernt Notke am Ostende des Langhauses dieses Triumphkreuz errichten lassen. "Mit dem Kreuz war die Stiftung eines 'Altars des heiligen Kreuzes und der 24 Ältesten' verbunden." (zit. Wolfgang Grusnick, Der Dom zu Lübeck, Königstein, o. J., 16). Vom Betrachter aus rechts unter dem Kreuz der Stifter des Triumphkreuzes:


Dahinter befindet sich der Lettner (Stiftung des Lübecker Bürgermeisters Andreas Geverdes von 1477) mit der Uhr (ursprünglich von Andreas Polleke, 1628). 

An der Südwestecke des Lettners ist der hl. Blasius mit einer Monstranz dargestellt. Da es in der Vita des Heiligen keinen besonderen Bezug zur Eucharistie gibt, könnte es sich bei der Monstranz um ein Reliquiar handeln und damit um einen Hinweis auf eine in Lübeck ehedem vorhandene Blasiusreliquie. Andernfalls (weniger wahrscheinlich) handelt es sich um um eine Darstellung des hl. Norbert.


Unter dem Lettner stand der erwähnte Kreuz- oder "Laienaltar" (1571 auf Weisung des lutherischen Bischofs Eberhard von Holle ersatzlos abgebrochen; Retabel im "Bocholter Stuhl" erhalten; s. u.).


An den Vierungspfeilern stehen (1978 nach dem Wiederaufbau aus dem St.-Annen-Museum wiedergekehrt):


1. im Südwesten der Altar der kanonischen Tageszeiten (erstes Drittel des 15. Jh.), auf dessen Retabel die Gebetzeiten der Kirche mit dem Leiden Christi verbunden werden.




- Matutin = Gefangennahme

- Prim = Verhör durch Pilatus

- Terz = Verhöhnung und Kreuztragung

- Sext = Kreuzigung

- Non = Tod

- Vesper = Abnahme vom Kreuz (daher "Maria Vesperbild")

- Komplet = Grablegung


Diese Gleichsetzung von Passion und Stundengebet geht auf die hochmittelalterliche Dichtung "Patris sapientia" zurück (näheres hier), das als Lied "Christus, der uns selig macht" bis heute im Evangelischen Gesangbuch enthalten ist (hier zur Komposition von Ludwig Selfl aus dem 16. Jh.).


2. im Nordwesten der Altar der Maria-Magdalenen-Bruderschaft der Stegnitzfahrer von 1422, der die Menschwerdung Gottes darstellt, gestiftet für die Pfarrkirche St. Nikolai von den Binnenschiffern, die über den Stegnitzkanal Salz von Lüneburg nach Lübeck brachten.



Im Mittelschrein die Madonna, begleitet von St. Katharina und St. Barbara (darunter ein Sockel für nicht mehr vorhandene Reliquien). Flügelinnenseiten (v. o. l. n. o. r.): Verkündigung, Heimsuchung, Geburt, Anbetung.


3. im Nordosten der Altar der Heiligen Leichnamsbruderschaft der Mühlenknechte von Hans Hesse (1560; hat auch in Schweden einen Altar geschnitzt) mit Maria als der apokalyptischen Frau zwischen dem hl. Martin (mantelteilend) und der hl. Katharina (den Fuß auf Kaiser Maxentius setzend).


4. im Südosten der Marienaltar mit Bild von der Einhornjagd, 1506 von Domvikar Johannes Parchem im Geiste der "devotio moderna" gestiftet, vermutlich gegen den Widerstand der Domkapitulare, die dieser "neuen geistlichen Bewegung" skeptisch gegenübergestanden haben dürften.



Mittelbild: Einhornjagd als Bild für die Verkündigung Christi mit Erzengel Gabriel mit Lanze, Horn und vier Hunden, die (nach Bernhard von Clairvaux) für die Tugenden Wahrheit und Gerechtigkeit einerseits und Barmherzigkeit und Friede andererseits stehen, die ob der Sünde des Menschen miteinander im Streit liegen. Die Menschwerdung Gottes und der Gehorsam Christi hat sie miteinander versöhnt (vgl. Ps 84/85, 11; nach Grusnick, Der Dom..., s.o.).


Nachreformatorisches (!) Bild des Nothelfers St. Christophorus von 1665 an der Nordwand des Querhauses. Ob Luther sich bei der Aufhängung des Bildes gegen einen jähen Tod (d.h. ohne Buße und Sterbesakramente) im Grab umgedreht hat, ist unsicher; der lutherische Pfarrer und Dichter Georg Weissel jedenfalls dichtete 1642 erbost: "Such, wer da will, Nothelfer viel"):


Unter dem Lettner geht es in den einstigen Hochchor, der erst 1317 unter dem zwölften Bischof von Lübeck, Heinrich von Bocholt, errichtet, nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg 1973 wieder aufgebaut worden, nun durch eine Glaswand getrennt und zum Baptisterium gemacht worden ist.

Das Retabel des alten Kreuz- und Volksaltars im "Bocholter Stuhl" (1477; einst im mittleren Lettnerbogen; die Ostseite schloß das Chorgestühl nach Westen ab) ist heute dahinter und falsch herum am Übergang zum neuen Baptisterium aufgestellt. Auf seiner einstigen Westseite sind der Pfarrpatron St. Nikolaus und der Dompatron St. Blasius dargestellt, auf der einstigen Chorseite St. Clemens, die Gottesmutter mit Jesus, St. Johannes der Täufer und St. Agnes:




Das 1455 von Lorenz Grove gegossene bronzene Taufbecken hat hier - unpassenderweise im Osten - seinen neuen Platz gefunden:


Der Hochchor ist heute ein vor allem leerer Raum mit Gräbern, in der Mitte das des Bischofs Heinrich von Bocholt, der ihn vollenden ließ und von dem der erwähnte "Bocholter Stuhl" stammt... 





... und u.a. dem des Bischofs Gerold, der den Oldenburger Bischofssitz nach Lübeck verlegt und hier den Dom erbaut hat:


In der 1455 gebauten Scheitel- oder Marientildenkapelle befindet sich das 1699/1700 errichtete Grabmal des 1705 verstorbenen Fürstbischofs August-Friedrich von Thomas Quellinus, der auch den Hochaltar für St. Marien gemacht hat:


"Hochwürdige" Grabmäler im nördlichen Ostchor:


Reste der mittelalterlichen Ausstattung des Hochchors:




Blick aus dem Ostchor nach Westen: