Warum Herford eine Reise wert ist,
hier sieben Sonnen geschienen haben,
es hier gleich drei geistliche Stifte gab
und die Kirmes „Vision“ heißt
Während meines Studiums in Münster (1980er/90er Jahre) hörte man, im Herforder Münster St. Marien würde hochlutherische Liturgie gefeiert. Ob das stimmt und heute noch so ist, weiß ich nicht. Jedenfalls eilt Herford ein guter Ruf voraus.
Und tatsächlich fällt in allen z. Zt. protestantischen Herforder Kirchen auf, daß sie katholisch wirken und von ihren Gemeinden augenscheinlich geliebt und gepflegt werden. Es spricht ja für sich, wenn Pfr. Johannes Beer im 2000 erschienenen Kirchenführer über das Münster schreibt, die Kirchen seien „steingewordener Gottesdienst“.
Das seit dem 16. Jh. lutherische Ravensberger Land ist vom Pietismus und der Erweckungsbewegung geprägt (zu nennen ist hier Johann Heinrich Volkening); hier liegt auch das berühmte „Bethel“ („... bei Bielefeld bietet Barmherzigkeit bei Barzahlung“), wo Johannes Kuhlo den protestantischen Posaunenchor erfunden hat.
Nach geschichtlichen Informationen geht es unten weiter zu den einzelnen Orten.
Für die Eiligen aber hier schon die Links:
Reichsstift, Münsterkirche und heilige Pusinna
Vision, Bergkirche und zweites Stift
St. Jacobi Radewig (Pilgerkirche)
SS. Johann und Dionys: Neustadtkirche und drittes Stift
Synagoge, kath. Kirche St. Johannes und Apostolisch-katholische Kirche
Enger: Stiftskirche St. Dionysius (Grab Widukinds)
Widukind / Wittekind
Herford liegt in im Ravensberger Land, dem Nordost-Zipfel des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen. Die Gegend wird auch „Wittekinds Land“ genannt, denn Wittekind/Widukind, Herzog der Sachsen und Fürst des Westfalengaus, liegt hier – in Enger – begraben, und wenn dies auf dessen Wunsch geschah, ist es jedenfalls wahrscheinlich, daß dies seine Heimat war.
Der in einem achtjährigen Krieg von Karl dem Großen besiegte Widukind wurde vermutlich Weihnachten 785 (oder Ostern 786) in der fränkischen Königspfalz Attigny getauft. König Karl dürfte Taufpate gewesen sein. Papst Hadrian ordnete darum für die römische Christenheit ein Dankfest für die Taufe der Sachsen für Ende Juni 786 an.
Nach der Taufe Widukinds „fehlen“ zwar laut Wikipedia „gesicherte Informationen über sein weiteres Schicksal, während seine Gestalt ins Mystische wuchs und teilweise kultisch verehrt wurde“. Doch das sieht man hier in der Gegend völlig anders, befand sich doch an seinem Grab in Enger seit 947 ein Kanonikerstift, wo man ihn als Heiligen verehrte.
Vermutlich ist Widukind an einem 7. Januar gestorben, wird doch in Enger bis heute das Timpkenfest am Vorabend begangen. Petrus Canisius verzeichnet in seinem Martyrologium Germanicum den seligen Widukind am 7. Januar. Auch die „Acta Sanctorum“ der Bollandisten erwähnen Widukind am 7. Januar.
Nationalismus und erst recht der Nationalsozialismus haben Widukind im 19. und 20. Jahrhundert zum heroischen Vorbild des „deutschen“ Kampfes gegen alles weichlich-welsch-christlich „Undeutsche“ gemacht. Widukind selbst (als Herrscher vermutlich Realist) wird dies anders gesehen haben, da seine „Götter“ ihn doch im Stich gelassen hatten und er durch die militärische Niederlage vom angsterfüllten und menschenopfernden Vielgötterglauben zur Wahrheit und zur Freude Christi gefunden hatte. Irgendwo habe ich gelesen, daß ein von König Karl besiegter und „zwangsgetaufter“ Sachse, der dann Mönch wurde, König Karl als seinen „Apostel“ bezeichnet hat.
Gründung von Stift und Stadt durch Waltger/Wolderus – der heilige Oswald
789 gründete der sächsische, bereits als Kind getaufte Edelmann Waltger (Wolderus) mitten im Heidenland ein Kloster: die „Gemeinschaft zu Ehren der heiligen Gottesgebärerin (Maria)“. Dies ist der Ursprung von Stift und Stadt Herford. Die Klosterkirche St. Marien war zugleich die erste Pfarrkirche der Stadt.
Die „sieben Sonnen“ an einem Südgiebel des Münsters (Bild oben) deuten auf die Legende hin, daß bei der Gründung des Klosters und der Stadt sieben Sonnen geschienen hätten, um einen Sumpf auszutrocknen. Die Kirchengemeinde präzisiert auf einem ausliegenden Informationsblatt: „In der mittelalterlichen Bildsprache ist mit dem Sumpf das Heidentum gemeint und die Sonnen stehen dann für Christus und die für Herford zuständigen Heiligen: Maria, Pusinna, Waltger, Oswald, Kilian und Burghard.“
Waltger holte „zur Unterstützung“ seiner christlichen Gründung 793/794/795 Reliquien des heiligen Königs Oswald (siehe hier und hier) aus Britannien nach Herford. Die Missionare rund um den heiligen Willibrord hatten viele Oswald-Reliquien dabei, um den Wodankult in Germanien zu überwinden. Denn Oswald - ein Angelsachse, aus westfälischer Sicht also „einer aus der Verwandtschaft“ - war als Heide großgeworden und hatte als solcher noch seine Abstammung auf Wodan zurückgeführt. Sein Name bedeutet „der Asengewaltige“ (= einer, der sich mit dem Jenseits auskennt) und deutet auf die germanische Götterwelt. Er bot den heidnischen Sachsen einen vertrauten Zugang zum Christentum, weil er ihn als einer der Ihren selbst gefunden hatte.
Nach seiner Taufe hat Oswald 634 einen britischen Heidenkönig besiegt, so dem Christentum zum „Sieg“ verholfen und ist der erste christliche König von Northumbrien geworden. Zur Besiegelung seines Sieges brachten bei seiner Krönung zwei Raben das fehlende Chrisam samt Beglaubigungsschreiben des heiligen Petrus vom Himmel, die die „Heidenkinder“ in Herford natürlich an Hugin und Munin erinnerten. So hat die Oswaldverehrung – unterstützt durch viele Wunder - in Herford den „Gott“ Wodan abgelöst, wie die Kirchenpatronin Maria die „Göttin“ Freia. Die heidnischen Sachsen fanden vermutlich leicht und froh Zugang zum Christentum – und das wäre für Westfalen schon bemerkenswert. ;-)
Die Reliquien des heiligen Liborius kamen übrigens erst 836 aus Le Mans nach Paderborn. Waltger war mit Oswald also früher dran und mit der Wahl eines Angelsachsen auch „kultursensibel“. Herford hat damit eine eigene Missionsgeschichte in Ostwestfalen.
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