Ratzeburg in Holstein (Kreis Herzogtum Lauenburg) war einst der Sitz eines Bischofs, gegründet von Herzog Heinrich dem Löwen. Der Dom war zugleich ein Prämonstratenserstift (1154-1504).
Der historische Kern der Stadt liegt auf einer Insel im Ratzeburger See. Von Westen her kommend, suchte ich nach einem schönen Blick auf die "Inselstadt" und stieß dabei auf St. Georg auf dem Berge (gegründet 962). Dies ist, wie mir ein freundlicher lutherischer Diakon erklärte, den ich vor der Kirche antraf, die älteste Kirche und damit der Keim des Christentums im Herzogtum Lauenburg. (Zur Gemeindeseite) Der Hl. Ansverus (Answer) war hier Benediktinermönch und Abt, Missionar unter den Wenden (Slawen) und wurde von diesen ermordet (dazu unten mehr). Er wurde hier beigesetzt und später in den Dom überführt.
Bilder von St. Georg auf dem Berge, der ehem. Abtei- und Missionskirche im heutigen Zustand. Nur von außen wird klar, daß dies einmal eine sehr kleine Abteikirche gewesen ist: Der alte Chor, der Platz für kein kleines Chorgestühl geboten haben könnte, ist innen nicht sichtbar und dient heute vermutlich als Sakristei:
Diesen Blick auf die "Inselstadt" erheischte ich an unterhalb der Lauenburgischen Gelehrtenschule:
Fährt man über den Damm zum Stadtkern auf der Insel, kommt man zur "Demolierung". Hier befand sich seit dem 11. Jh eine slawische Ringburg. Daneben gründete der hl. Answer nach 1044 ein Kloster (1066 von den Slawen zerstört). 1062 wird eine erste „deutsche“ Burg erwähnt (Schenkung an den Billungerherzog Otto von Sachsen). Sie wurde, inzwischen zu einem Schloß ausgebaut, 1656 zerstört (Geschichte hier und hier; Bilder); daher der heutige Name des Ortes, der heute mit dem klassizistischem Rathaus so aussieht:
In den 70er Jahren und danach hat man sich auf dem Markt der Moderne halber Bausünden gegönnt:
Doch man trifft auch auf klassizistische Amtsgebäude (Ratzeburg war Hannoversche Garnisonsstadt):
Der Dom St. Marien und St. Johannes liegt recht weit vom bürgerlichen Stadtkern entfernt:
Diese Straße führt merkwürdigerweise nicht direkt zum Dom, sondern über den "Süßen Grund" - wie schön!
Doch dann findet man den Weg zum Dom, vorbei an der "Probstei" (sic!)*, wo vielleicht in einem Vorgängerbau der Bischof von Ratzeburg amtierte.
(* Merke: "Probst kommt von probieren, Propst von propper". - Tatsächlich kommt "Propst" von "præpostitus", "Probst" von "probatus".)
Auf dem Domfriedhof werden in einem historisierenden Stock Bienen gehalten:
(Übersetzung: Gott ist in den Kleinsten der Größte.)
Das Küsterhaus (?):
Im Süden des Langhauses hat man 1380 die Katharinenkapelle angebaut. Sie wird "Lauenburger Kapelle" genannt, denn nach der Reformation dient(e) sie als Ort, an dem die Mitglieder des Herrscherhauses dem Gottesdienst beiwohn(t)en.
Da es in dieser Gegend keine Steinbrüche gibt (die oberen Erdschichten bestehen im Wesentlichen aus dem Geschiebe dreier Eiszeiten), baut man hier aus Backstein und Findlingen, wenn man sich keinen Naturstein kommen läßt wie in Ribe:
Die Sockelsteine aus Granit hat man mit großem Aufwand passend geschlagen:
Im Norden des Doms sind der Kreuzgang und weitere Stiftsgebäude erhalten:
Zutritt zum Dom durch den östlichen Kreuzgangflügel...
Vom Kreuzgang in den Dom:
Das Taufbecken, von Bischof Paradamus 1440 gestiftet:
Viele altkirchliche Kultbilder sind erhalten, so das Triumphkreuz mit seinen Assistenzfiguren Maria und Johannes. Bemerkenswert ist die "ausdrücklich" hörende Gottesmutter und die Madonna im Sockel des Kreuzes:
Die Kanzel aus der Werkstatt Hinrich Matthes' (1576) zeigt auf dem Bild an der Rückwand Georg Usler, den 1566 berufenen ersten lutherischen Prediger am Dom:
Das Retabel des Hochaltars (man beachte wohlwollend die sieben "bischöflichen" Kerzen) ist zusammengesetzt aus den mittelalterlichen Flügeln (15. Jh.), einem steinernen Passionsrelief (um 1430) und einer nachreformatorischen Figur des "Salvator mundi" (1634):
Gotisches Gestühl für den Klerus:
Blick nach Westen:
Südquerhaus:
Nordquerhaus mit Baptisterium von 1440 (? so steht es im Kirchenführer; eher 1540), das einst mit dem von Bischof Paradamus gestifteten Taufbecken im Westen des Mittelschiffs stand:
Die Grabplatte von Bischof Paradamus, Stifter des Taufbeckens:
Nördlicher Seiten- (Marien-) Chor mit einer mittelalterliche Pietà...
... und der nachreformatorischen (!) Ansverustafel (1681), die das Leben des hl. Answer (im Prämonstratenserhabit) darstellt:
Blick ins nördliche Seitenschiff...
Die oben erwähnte "Lauenburger Kapelle":
Weitere erhaltene altkirchliche Kultbilder...
- eine gotische Madonna - sie trug wahscheinlich früher eine Krone (vgl. Frisur), dem Christuskind wurde das Gesicht abgeschlagen:
- eine Kreuzwegstation oder das Altarbild eines Seitenaltars:
... noch eine Madonna, diesmal in hochgotischer S-Form (hier hat man dem Christuskind noch ärger zugesetzt):
Die zur Stadt hin gelegene "Domfreiheit" südlich der Kathedrale:
Auf dem Weg in die Stadt fand ich im modernen Pflaster einen offenkundig historisch-religiösen Stein, vielleicht ein Pilgermal:
Blick auf den Markt mit St. Petri:
Die Stadt- und (seit 1689 hannoversche) Garnisonskirche St. Petri wurde 1200 gegründet und war 1250 als romanisch-frühgotische Kirche vollendet.
Nach Zerstörung durch die Dänen 1693 und einer Zerstörung des Kirchendaches der provisorisch reparierten alten Kirche durch ein Unwetter wurde diese 1787 abgerissen und durch die im norddeutschen Raum einzige lutherischer Querhauskirche ersetzt ("Weihe" 1791).
Sie war bis in die 1970er Jahre "Sitz des mit bischöflichen Rechten ausgestatteten Landessuperintendenten der selbstständigen (sic!) Lauenburgischen Landeskirche", wie es im ausliegenden Kirchenführer heißt, und weiter: "In dieser fanden in der Zeit des Dritten Reiches unter Landessuperintendent Johannes Peter Lange Pastoren den Bekennenden Kirche Zuflucht. Die Konfirmierten der ,Möllner Notkonfirmation' kamen am 4. April 1937 in St. Petri zu einem Abendmahlsgottesdienst zusammen und am 3. November 1938 wurden hier 22 regimekritische Kandidaten zu Pastoren ordiniert."
Der Kanzelaltar steht im Süden, so daß das Evangelium nach wie vor nach Norden hin verkündet wird.
Vielleicht aus der Vorgängerkirche stammen die gotischen Figuren Mariens und des hl. Johannes auf dem Altar (15. Jh.). In der Mitte ein Kruzifix von K.-J. Luckey (1977):
Ganz bewußt im Osten hat man 2002 einen Gebetsort eingerichtet. Hier findet sich seit 2013 die Figur "Lehrender Christus" (1931) von Ernst Barlach, der seine Schulzeit in Ratzeburg verbracht hat.
Aus Ostdeutschland vertriebene Katholiken gründeten 1951 eine Wallfahrt vom Ratzeburger Dom über St. Georg auf dem Berge zum Ansveruskreuz, das bei dem Ort Einhaus an der Stelle steht, wo Answer mit 18 oder 28 Mitbrüdern das Martyrium erlitten haben soll. Der Weg wurde eigens dafür angelegt und wird bis heute gepflegt:
Auf dem Weg kann man das 20 km entfernte Lübeck erspähen (ganz hinten in der Mitte):
Informationen:
Das Ansveruskreuz: