Freitag, 23. August 2019

Kampen, Hansestadt an der Isselmündung

Die Hansestadt Kampen liegt an der IJssel/Issel kurz vor deren Mündung ins IJsselmeer, die ehemalige Zuiderzee. 

Es ist auf den ersten Blick merkwürdig, daß sie, obwohl an der Mündung des Flusses liegend, zur Provinz Overijssel gehört. Es gibt keine Provinz "Nederijssel". Der denn das "Over" im Namen der Provinz rührt daher, daß sie einst das Oberstift des Bistums Utrecht war.

Die Stadt erstreckt sich wegen des Handels ganz am Flußlauf entlang. Natürlich gibt es Querstraßen und zurückliegende Quartiere, aber die kommen quasi "nur dazu". Dahinter hat sich dann die neuzeitliche Stadt entwickelt.

Zwei Kirchen beherrschen die Altstadt, links im Bild die "Bovenkerk" (Oberkirche) St. Nikolai, rechts im Bild ist der Stadtturm zu sehen und weiter rechts sähe man den eher bescheidenen Turm der "Buitenkerk" (Außenkirche) St. Marien - Bilder unten.


Oben im anstelle des alten Heilig-Geist-Hospitals errichteten Stadtturm (Mitte 17. Jahrhundert) ist ein historisches Glockenspiel von Hemony untergebracht, das vier Glocken des legendären Gerhard van Wou ("Wau") enthält. In Zwolle habe ich gelesen, daß es das Glockenspiel der dortigen Kirche St. Michael sei, das hierhin verkauft worden sei, nachdem der Turm dort nach drei Blitzeinschlägen abgerissen worden war, habe darüber aber nichts im Netz gefunden.



Das Rathaus:


Der Kamin ist schon "eine Nummer":


Ob es einmal einen ungeliebten Bürgermeister gab, der dieses Gitter anbringen ließ, um bei öffentlichen Reden vor Wurfgeschossen geschützt zu sein, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber es sieht gut aus und war bestimmt nicht billig.


Wenn es auch ein Renaissancehaus ist, ist hier doch die Idee der Gotik konsequent ausgeführt: leuchtende Wände, keine Mauern.


Von der "oude straat", der Hauptstraße der historischen Stadt, gehen viele Gäßchen ab wie dieses hier:


Zuerst geht es zur 1380 gegründeten "Buitenkerk" (Außenkirche) St. Marien am unteren Ende der Altstadt. Diese ist die zweite Pfarrkirche der Stadt und heute wieder katholisch.



Es scheinen mal fünf Schiffe geplant gewesen zu sein:


"Semi-benediktinische" Ordnung auf der "Zentralkredenz": Statt von "drei Kerzen links - Blumen rechts" zu einer symmetrischen Ordnung mit mittigem Kreuz überzugehen, hat man sich hier noch ein wenig in der alten Asymmetrie verheddert, aber es geht schon...:


Grabplatten aus dem schönen Namürer Blaustein, der ja für Sakralbauten am ganzen Niederrhein typisch ist:


Zurück durch die oude straat zur "Bovenkerk":


Jugendstiltür einer Konditorei:


Die Oberkirche liegt auf einem kleinen Hügel (vielleicht einer Flußdüne), der als hochwassersicherer Ort der Ursprung der Stadt sein dürfte:


Hier stand um 1200 bereits eine romanische Kirche mit Kleeblattchor im kölnischen Stil. Der heutige Kirchenbau (um 1300) kann sich mit Kathedralen messen. Immerhin war hier der Kölner Dombaumeister Rütger am Werk. Und man beachte den Sandstein, den man ja importieren mußte und es durch den Reichtum auch konnte. Der Chorraum wurde um 1395 fertiggestellt.


Im Inneren der z. Zt. protestantischen "Bovenkerk" (Oberkirche) St. Nikolai, die im Netz vor allem über ihre Orgeln zu finden ist. Sie geht auf eine romanische Vorgängerin (um 1200) zurück. 


Die Kanzel aus Kalksandstein ist noch aus dem Mittelalter, also "katholisch", wurde aber ihrer Heiligenfiguren beraubt und stattdessen um Bibelsprüche ergänzt.

Nebenbei bemerkt: Es gibt heute in der Kirche keinen irgendwie gearteten Altar oder Tisch. Man pflegt sein Christentum dort offenkundig nichtsakramental.


Die Hinsz-Orgel, 1742-43 erbaut. Hier, wie auch in anderen reformierten Kirchen der Niederlande fällt auf, daß das Bilder- und Schmuckverbot für Orgeln nicht gilt. Eigentlich sind sie nun an die Stelle der Altäre getreten.



Gut calvinistisch ist der alte Altarraum zum Schiff hin geschlossen.



Statt des Hochaltars:


Gewölbe in einer der sehr kurzen Chorkranzkapellen, in denen sich an den Stellen der bei der "Reformation" entfernten Altäre Gruften für die "Stinkreichen" befinden. Im Informationsblatt der Kirchengemeinde heißt es zu diesem Vorgang doch tatsächlich:

Wo der Herr verschwindet,
kommen die Herren wieder.

(Das erinnert mich an meinen Besuch in Delft, wo man die Altäre durch prächtige Grabmäler des Prinzen von Oranien und erfolgreichen Kapitänen ersetzt hat.)


Stadttore:



Die Brüderkirche, ehemalige Franziskanerkirche aus dem 14. Jahrhundert, (hier deren Glaubensbekenntnis), ist "zum Abgewöhnen" calvinistisch umgestaltet. Die beiden Chorräume gehören nicht mehr zum Kirchenraum, und diesen hat man sehr spaßfrei "umorganisiert":


Allein schon, wenn man hineinkommt...




Wie gesagt: Zwar verbietet der Calvinismus Bilder und Pracht. Doch bei der Orgel macht er regelmäßig eine Ausnahme. Bei (dieser Variante) der Reformation scheint die Transzendenz vom Altar auf die Orgelbühne gewandert zu sein.


Mittwoch, 21. August 2019

Zwolle - Stadt, Brüderkirche, St. Michael und Basilika Unserer Lieben Frau


Zwolle ist die Hauptstadt der niederländischen Provinz Overijssel (Oberissel) und ehemalige Hansestadt an der IJssel/Issel, dem nördlichsten Mündungsarm des Rheines.

(Der Name der Stadt hat etwas mit "Schwellen" zu tun und man spricht ihn nicht "Tswolle" aus, sondern schürzt die Lippen wie bei "sch" und spricht ein stimmhaftes, weiches "s" dazu, dann folgt ein ebenso gesprochenes, intensives "w" - es darf einem deutsch Sprechenden gerne etwas lustvoll vorkommen.)

Schon vor vielen Jahren war ich auf die Stadt aufmerksam geworden, als ich las, es gebe dort in der katholischen Marienbasilika einen gekachelten Chor.

Nun bin ich aus zusätzlichem Interesse an einer Ausstellung von Bildern Michael Triegels endlich hingefahren und habe einige Bilder gemacht.

Es folgt ein Spaziergang durch die Stadt, die übrigens als Standort gleich dreier theologischen und einer künstlerischen Hochschule jung und lebendig ist.


Ein altes Fischerhaus mit niedrigem Klofenster:



Ehemaliges Klostergebäude Dominikanerkonvents an der Brüderkirche:


Plantagekirche, "gereformeerde", d. h. altreformierte Kirche, errichtet 1874 an einer Stelle, wo man die alte Stadtbefestigung durch einen Park ersetzt hatte:



Die Synagoge, eingeweiht 1899:



An der Fassade wird ein Bibelvers in hebräischer Schrift geboten. Der biblische Verweis erfolgt für die (calvinistischen, also bibelfesten) Heiden in lateinischer Schrift. (Selber nachsehen!)


Dies ist die wallonisch-prostestantische Kirche, also das Gotteshaus der aus den katholischen südlichen (Belgien und Luxemburg) in die nördlichen Niederlande geflohenen Protestanten französischer Zunge, in der bis heute protestantische Gottesdienste in französischer Sprache stattfinden:



In Zwolle gibt es nicht nur ein Sachsentor (Sassenpoort) und eine Sachsenstraße (Sassenstraat), sondern auch der Ortsdialekt ist (nieder-)sächsisch = westfälisch.


Das Museum "De Fundatie" hat hier einen seiner beiden Standorte. Hier ist es in einem ehemaligen Gerichtsgebäude aus dem 19. Jahrhundert eingerichtet worden, das bei einem Umbau 2012/13 um eine "Wolke" ergänzt wurde. Davor sieht man die Lutherische Kirche.


Der Turm der "Grote Kerk" St. Michael (z. Zt. protestantisch) ist 1682 durch drei vorausgehende Blitzeinschläge eingestürzt und wurde danach durch eine Konsistorienkammer ersetzt. Das Glockenspiel wurde nach Kampen verkauft.


Von Osten, durch die Sachsenstraße (sassenstraat) kommend, ein Blick auf die drei Chöre von St. Michael:


Warum die Straße an der Ostseite von St. Michael "Kurzer Atemholsteig" heißt, habe ich nicht herausgefunden. Vielleicht gingen hier die zum Tode Verurteilten ihren letzten Gang.


Am Großen Markt von Zwolle: Links die z. Zt. protestantische "Grote Kerk" St. Michael, rechts der Turm der wieder katholischen Marienbasilika:



Aber zunächst zurück zum Stadtumgang. Hier die "Brüderkirche" der Dominikaner, die hier 1465 einen Konvent gegründet haben. Die Kirche ist heute eine Buchhandlung.



Direkt über dem südlichen Haupteingang ein Bild des göttlichen Schmerzensmanns...




Und jetzt kommt's sehr niederländisch-modern-praktisch: Nicht nur Grabplatten der ehemaligen Kirche sind erhalten und sichtbar, sondern auch ein Grab mit menschlichen Gebeinen:



Zurück zur Mitte, zu St. Michael, der Hauptkirche:



Ein für ein Leitersuchspiel als Tiger verkleideter Gruppenleiter bei der modernen Michaelsfigur auf dem Großen Markt:



Spiel aus Ziegel- und Sandstein:




Die "grote kerk" St. Michael geht auf eine Gründung im Jahr 765 zurück. Wie man am heutigen Bau sieht, hat die Hanse ordentlich Geld in die Kassen der Bürgerschaft gespült. Das Gotteshaus ist im 16. Jahrhundert unter dem üblichen Bildersturm von den niederländisch Reformierten übernommen worden. Heute ist sie "irgendwie noch" eine reformierte Kirche, firmiert aber unter "academiehuis":



Konsistorienkammer:




Bei der Einführung der Reformation hat man die Kirche wie üblich aller Altäre, sakralen Gegenstände, Heiligenbilder und sonst auch allen Schmucks beraubt, den Altarraum geschlossen und ein "liturgisches Zentrum" (= Kanzel, Bänke und sonst nichts) im Süden des Mittelschiffs eingerichtet:


Eine Orgel von Arp Schnitger hat man sich freilich gegönnt.


Über dem Eingang zum Chor ist - offenkundig nach der Reformation gemalt - der heilige Erzengel Michael als Patron von Kirche und Stadt präsent geblieben:
  

Auf zur katholischen Basilika Unserer Lieben Frau! Sie wurde Ende des 14. Jahrhunderts erbaut, während der "Reformation" profaniert und diente danach weltlichen Zwecken, bis sie nach der Wiederaufrichtung der (katholisch) kirchlichen Hierarchie 1809 den Katholken wieder übergeben wurde. Es folgte eine kirchliche Neuausstattung, die bis heute - einschließlich der eingangs erwähnten Kacheln im Chorraum - erhalten ist.

Kurze Geschichte der "Onze Lieve Vrouwebasiliek":

1393: Stiftung seines Hauses und Grundbesitzes durch den Schöffen Gerardus van Spoelde an den Stadtrat, der eine Marienkapelle errichten ließ.

1394: Nach dem Tod von Gerardus van Spoelde verkaufte der Stadtrat das Grundstück samt Kapelle und errichtete mit dem Ertrag eine Kapelle am heutigen Standort der Kirche auf dem "Hof van Zwolle", dem Ossenmarkt (Ochsenmarkt).

1394-1417: Erste Bauphase: Hochchor, Querhaus und erstes Joch des Langhauses.

1399: Anläßlich einer Pestepidemie 1398 wird die sich im Bau befindliche Kapelle am 26. November 1399 dem Pest-Patron St. Antonius geweiht. Eine Wallfahrt entsteht. Die Kapelle befand sich dort, wo heute der Hochchor steht.

1452- 1454: Zweite Bauphase: Langhaus mit Westgiebel vollendet; in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts widmet man sich der Ausstattung der Kirche.

1463-1481: Dritte Bauphase: Turmbau. Der Guß der sechs Glocken erfolgt 1484 durch Gerard van Wou, von denen eine, die Marienglocke, erhalten ist.

1498: Gründung der Bruderschaft "Onser Liver Vrowen" als Kirchenchor.

1566 und 1578: Die Kirche wird von Protestanten besetzt.

1580: Am Fest des heiligen Veit (15. Juni) predigt der katholische Pastor Hendricus Focking hier ein letztes mal - über Lk 21, 9. Er wurde danach aus der Stadt verbannt, und die Kirche wurde Opfer eines protestantischen Bildersturms. Das Inventar wurde vollständig vernichtet, wobei die Marienkapelle bemerkenswerterweise verschont blieb und bis 1591 von den Katholiken genutzt wurde. Danach diente die Kirche nicht mehr für Gottesdienste, verwahrloste und wurde für profane Zwecke genutzt, u. a. für Zirkusveranstaltungen, militärische Zwecke u.a.. Für Heuwagen wurde in das Nordquerhaus ein Tor eingebaut. Auch für Obdachlose wurde hier eine Unterkunft eingerichtet. 1719-1721 diente die Kirche als Werkstadt für den Bau der neuen Orgel für St. Michael (s.o.). 1786 haben sie Zimmermänner für ihre Arbeit am neuen Rathaus von Genemuiden genutzt. Und so ging es weiter.

1590: Der katholische Gottesdienst wird verboten. Die Kirche geht in den Untergrund. Die Quellen belegen für das Jahr 1631 eine "Schuilkerk" (verborgene Kirche), von der aus eine geregelte katholische Seelsorge stattfand.

1672-74: Münstersche Truppen erobern die Stadt. Die Protestanten bekommen die Liebfrauenkirche zugewiesen, während den Katholiken St. Michael, die Große Kirche, zurückbekommen.

1809: König Ludwig Napoleon gibt die Liebfrauenkirche am 4. März den Katholiken zurück. Der Turm wird dem Stadtrat übergeben. Die Kirche wird neu (katholisch) ausgestattet. Seitdem ist die Kirche wieder ein römisch-katholisches Gotteshaus.

1870-1900: Anbau von zwei Seitenschiffen für Prozessionen, neugotische Ausstattung.

1976-81: Durchgreifende Restaurierung, Abbruch der Seitenschiffe.

1999: Erhebung zur basilica minor durch Papst Johannes Paul II. anläßlich ihres 600-jährigen Bestehens.

2006: An Pfingsten werden die Reliquien des heiligen Thomas von Kempen aus der kath. Pfarrkirche St. Michael, die geschlossen wurde, hierher übertragen.




In der Basilika liegen seit 2006 die sterblichen Reste von Thomas von Kempen (a Kempis), der Verfassers der "Nachfolge Christi", der gerne "in Hücksken mit Bücksken" saß.


Neugotik as ist can:




Die Kacheln können was:







Die Pfarrei Zwolle pilgert in jedem Jahr nach Kevelaer. Da eine Basilika ein Tintinnabulum braucht, hat man in das von Zwolle das Bild der Trösterin der Betrübten von Kevelaer eingefügt: 


Weitere Bilder aus der Basilika

Sphärisches Ziegelspiel:


Ehemaliges Tabakgeschäft im Jugendstil:






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