Freitag, 15. März 2024

Köln-Deutz: Neu-St. Heribert, Heribertschrein


Informationen:

- Heribert Müller, Heribert von Köln. Ein Lebensbild, Kunstverlag Josef Fink (Köln) 2021

- Informationstafeln in der Kirche zur Ausstellung "Gerechtigkeit. Macht. Frieden. 1000 Jahre Heribert von Köln", 2021

- weitere in den Links im Text


1002 oder 1003 gründete der Kölner Erzbischof Heribert, Kanzler Kaiser Ottos. III., in einem massiven römischen Brückenkastell im rechtsrheinischen Deutz eine Benediktinerabtei (hierhier und hier), deren Kirche, ein Memorialbau für Otto III., Christus Salvator und der Gottesmutter geweiht und der bedeutendste Zentralbau Mitteleuropas war. Patron der zugehörigen, 870 erstmals erwähnten Pfarrkirche war der hl. Urban (heute hier).

 

„Mit der Ortslage seiner Deutzer Gründung verfolgt (Bischof) Heribert eine Vervollständigung der ikonologisch bestimmten Stadtbauordnung. 

Ein Kreuz bilden Deutz im Osten und St. Aposteln im Westen mit Groß St. Martin in der Mitte, senkrecht dazu im Norden der Dom St. Peter und Maria und im Süden das älteste und vornehmste Kloster, St. Maria im Kapitol, wiederum mit Groß St. Martin in der Mitte ein Kreuz bildend. 

Das Kreuz ist von einem Kranz bedeutender Märtyrerkirchen (Severin, Pantaleon, Gereon, Ursula, Kunibert) umgeben, in deren Kranz zugleich St. Aposteln und Deutz liegen und St. Severin und St. Ursula die Verlängerung dieses Kreuzes bilden. 

Somit sind Kreuz und Kranz auf das engste miteinander verbunden, und die Gründung von Deutz schließt den Kreis über den Rhein hinweg und vervollständigt das Kreuz.“

Aus: Günther Binding, Städtebau und Heilsordnung, Düsseldorf 1986; gefunden in: Müller, Heribert, s. o., S. 25


Als Heribert am 16. März 1021 starb, wurde er in der Mittelachse des Chores bestattet. Über seinem Grab wölbte sich ein von 42 Säulen getragener Baldachin. Am 30. August 1147 wurden seine Gebeine erhoben, 1157 in einem Schrein beigesetzt, einem "der ältesten im Rheinland erhaltenen Großschreine und insbesondere aufgrund der noch erhaltenen getriebenen Figuren ein herausragendes Zeugnis der rheinischen Goldschmiedekunst des 12. Jahrhunderts" (siehe auch hier und hier). Damals wurde der hl. Heribert zum Patron der Kirche, heute "Alt-St. Heribert".


Die Kirche wurde sechsmal zerstört und wiederaufgebaut. Die heutige wurde 1663 vollendet, nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg 1993 rekonstruiert und ist inzwischen in orthodoxem Gebrauch


Die reiche Deutzer Bürgerin Anna Maria Mechtildis Sinsteden, anerkennend "Tempelmadam" genannt, stiftete eine neue Kirche für die angewachsene Bevölkerung Deutz' und als neue Heimat der Reliquien des hl. Heribert und seines Schreins. Die große neuromanische Kirche wurde 1891 bis 1896 in der Nähe von nun "Alt-St. Heribert" erbaut und nach Zerstörung im Zweiten Weltkrieg von Rudolf Schwarz und Josef Bernard wieder aufgebaut (hier, hierhier und hier). Hier befindet sich der Heribertschrein, der zum 1000. Jubiläum des hl. Heribert durch eine spezielle Konstruktion zugänglich gemacht wurde:










DER HERIBERTSCHREIN


An den beiden Giebelseiten werden die Gottesmutter und der hl. Heribert dargestellt.


Die Seitenwände zeigen die zwölf Apostel, denen Glaubensartikel des Credo zugeordnet sind (unter den Bildern unten genannt; zwei sind "verborgen", und es fehlen die zum Heiligen Geist, zu Kirche, Wiederkunft und ewigem Leben). 


Bei den Darstellungen der Personen fällt auf, daß diese z. T. einander zugewandt miteinander "kommunizieren". Dies ist für die Entstehungszeit ungewöhnlich, löst sich die christliche Kunst doch erst in der Gotik, also im 13. Jh. aus der romanisch-archaisch-sakralen Starre, wie z. B. bei der Verkündigungsdarstellung an der Kathedrale von Reims (Quelle und weites hier, siehe auch hier).


Auf dem Dach wird in zwölf Emaillemedaillons das Leben des hl. Heribert dargestellt (im einzelnen unter den Bildern unten erläutert).


Vorderseite (Gottesmutter Maria mit ihrem Sohn und Engeln):



Apostel- und Prophetenbilder an den Seitenwänden (mit Sätzen aus dem Glaubensbekenntnis) - Teil 1

Petrus: "Ich glaube an Gott den allmächtigen Vater"


Andreas: "den Schöpfer des Himmels und der Erde"


Jakobus d. Ä. (?): "und an Jesus Christus" (Text nicht dargestellt, im verschlossenen Buch zu denken)


Johannes Evangelist: "der empfangen worden ist vom Heiligen Geist"


Bartholomäus: "geboren aus der Jungfrau Maria"


Thomas: "gelitten unter Pontius Pilatus"


Rückseite (Heribert mit allegorischen Darstellungen der Liebe und der Demut; darüber der "hervorragende" Christus):


Apostel- und Prophetenbilder an den Seitenwänden (mit Sätzen aus dem Glaubensbekenntnis) - Teil 2

Paulus: "gekreuzigt, gestorben und begraben"


Jakobus d. J. (?): "Er ist hinabgestiegen zur Unterwelt"


Philippus: "am dritten Tag auferstanden von den Toten"


Matthäus: "aufgefahren in den Himmel" (Text nicht dargestellt, im verschlossenen Buch zu denken)



Simon: "er sitzt zur Rechten des Vaters"


Judas Thaddäus: "woher er kommen wird, zu richten Lebende und Tote"


Medaillons auf dem Dach

Der Künstler läßt an den oben dargestellten Seitenwänden das Glaubensbekenntnis der Kirche (Credo) unvollendet. Der letzte Teil (Heiliger Geist, Kirche und letzte Dinge) fehlt. Das läßt den Betrachter fragen, ob dieser Teil auf dem Dach in den Darstellungen des Lebens Heriberts vorkommt. 
Hier wird das Credo zwar nicht zitiert, aber es läuft - in losen Bezügen - mit, wenn man je zwei Bilder zusammenfaßt. Dies wird im folgenden kursiv erwähnt.

1. Heriberts Geburt:



2. Heriberts Erziehung:



Credo zu 1 und 2: "Ich glaube an den Heiligen Geist," (Bezug zur Erziehung)


3. Heriberts Aufstieg zum Kanzler:



4. Heriberts Erhebung zum Erzbischof von Köln:



Credo zu 3 und 4: "die heilige katholische Kirche" (Erwählung zum Bischof)


5. Heriberts Zug nach Köln:



6. Heriberts Bischofsweihe:



Credo zu 5 und 6: "Gemeinschaft der Heiligen" (in der der Zug und die Weihe geschahen)


7. Marienerscheinung:



8. Kreuzwunder:



Credo zu 7 und 8: "Vergebung der Sünden" (Bezug zum Kreuz)

9. Regenwunder:



10. Heilung des Besessenen:



Credo zu 9 und 10: "Auferstehung der Toten" (allegorischer Bezug zu den beiden Wundern)


11. Versöhnung mit Kaiser Heinrich II.:



12. Heriberts Tod:



Credo zu 11 und 12: "und das ewige Leben." (Bezug zur Sterbedarstellung)


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Mittwoch, 6. März 2024

SS. Marien und Johannes Segeberg und der heilige Volker



Quellen:

Dietrich Ellger, St. Marien Segeberg, München, Berlin (Deutscher Kunstverlag), 1992

Wikipedia

Stadt Segeberg mit einem geschichtlichen Überblick

Kurzinformation der Kirchengemeinde


Die Kirche St. Marien und St. Johannes in Segeberg ist Denkmal der Slawenmission in Holstein und steht an der Wiege der Backsteinkirchen im Ostseeraum. Die Geschichte ist - wie immer in Schleswig-Holstein - kompliziert, und die Quellen widersprechen sich zum Teil. Auch diese Zusammenfassung ist gewiß mangelhaft:


Von Neumünster aus gründete Vicelin nach dem ersten Scheitern der Wendenmission 1066 im slawischen Wagrien um 1130 an der Trave (der damaligen Grenze des Heiligen Römischen Reiches) ein Oratorium der Augustiner-Chorherren als Missionsstützpunkt.


Dies geschah im Zuge der von Kaiser Lothar III. (siehe auch hier) seit 1125 betriebenen „Ostkolonisation“, bei der Menschen aus dem niederdeutschen Sprachraum im Ostseeraum von Holstein bis ins Baltikum siedelten und das Evangelium verkündet wurde. 


1134 erbaute Kaiser Lothar auf Vicelins Rat auf dem Alberg eine Burg (die „Si(e)ge(s)burg“ -> „Segeberg“) und gründete zu ihren Füßen ein Kanonikerstift „zu Ehren Gottes, der Jungfrau Maria und des Evangelisten Johannes“. 


Die Patrozinien der Gottesmutter und des Evangelisten Johannes (die für die liebende Nähe zu Jesus stehen), sind (zu dieser Zeit bereits!) eigentlich typisch hochmittelalterlich; zuvor nahm man „starke Beschützer“ wie Petrus wegen der Himmelsschlüssel, Johannes den Täufer, „den Größten von einer Frau Geborenen“, oder einen Reichsheiligen wie Dionysius oder Martin. Doch schon 881 wählte Ansgar die Gottesmutter als Patronin für seine Missionskirche in Hamburg, den späteren Dom.


Die heidnischen Obotriten (ein Stamm der Wenden/Slawen) vernichteten das Stift 1138 (oder schon 1132; es bleibt kompliziert), wobei der hl. Volker zum Martyrer wurde. (Seine Gebeine wurden nach Neumünster übertragen und vielleicht später nach Bordesholm.)


Das niedergebrannte „Oratorium“ wurde durch eine der Gottesmutter geweihte romanische Basilika ersetzt, für die (in einem Land ohne Steinbrüche*) Backsteine verwendet wurden, und - ein Fortschritt zur Kathedrale von Oldenburg - deren Schiffe eingewölbt wurden (hier ist das erste Backsteingewölbe der Welt entstanden). Auch den klassischen romanischen Stützenwechsel hat man hier übernommen.


* Hier baute man bis dahin mit Holz und Granitfindlingen. In Segeberg gibt es, für das aus Gletschern geformte Holstein außergewöhnlich, einen einst 120 m hohen "Kalkberg", der allerdings keine Kalksteine, sondern Gips lieferte und wo heute die Karl-May-Spiele stattfinden.


Bereits die Stiftskirche in Neumünster (1147) und die Kathedrale von Oldenburg (1156-1160) waren aus Backstein erbaut worden, allerdings (jedenfalls Oldenburg) noch ohne steinerne Gewölbe.


Der Wunsch, dem wahren Gott große Basiliken aus Stein zu bauen ("monumentale Siegeszeichen des Christentums im einstigen Heidenlande", Ellger, s.o.), führte hier zur Wiedererfindung des Backsteins, der somit ein "Produkt des Evangeliums" ist. Auf Segeberg folgen als Gewölbebasiliken aus Backstein die Dome von Lübeck und Ratzeburg. Dann entstehen weiter im Osten Backsteinbasiliken wie z.B. (von West nach Ost) in WismarDoberan und Rostock und die preußischen Ordensburgen, siehe auch hier.


Die zuvor erbaute, dem hl. Johannes Ev. geweihte Pfarrkirche wurde dann abgerissen. Die Stiftskirche übernahm deren Patrozinium und wurde auch Pfarrkirche. 


Die Kirche entfaltet heute wegen ihres Schicksals ihre Würde nur bei genauerem Hinsehen: Die Apsiden in Haupt- und Nebenchören sind verschwunden; der alte Chorraum, der bis ins Mittelschiff reichte, ist nicht mehr erkennbar; Renovierungen der Neuzeit lassen den Bau neuromanisch erscheinen.






Die Kapitelle und Bogenzieren sind aus Gips... 



... wobei dieses "korinthische" Kapitell nicht vollendet worden ist:



Spätgotischer Kruzifix (Lübeck um 1500):



Der Hochaltar (Lübeck um 1515) ist nach dem Abriß des später errichteten "Mönchchors" in den alten, nun unhistorischen Kastenchor versetzt worden und war bei meinem Besuch in seinem Fastenzeitszustand zu sehen (hier die Festtagsseite):



Das Fenster darüber von 1910:



Die lutherisch-barock übermalte Fastenzeitsansicht des Hochaltars:







Taufbecken von Ghert Klinge (1447):



Blick nach Westen, wo gerade eine neue Orgel gebaut wird:



Die Kanzel (1612):



Fenster mit Kaiser Lothar III. im Nordquerhaus (1910):



Südliches Seitenschiff (Außenwand neuromanisch):




Klüngelige Gebetsecke im Nordquerhaus:



Klüngelig geht's auch im Südquerhaus zu...



... wo aber dieses Epitaph von 1562 erwähnenswert ist, das Heinrich Rantzau seinem Großvater Gert Walsdorp gestiftet hat, der in der Reformationszeit für den lutherischen Gottesdienst im Kirchenschiff gesorgt hat, während im Chor von den Kanonikern weiterhin der "normale Glaube" gepflegt wurde:



Statt Weihwasserbecken:



NB: Das Erzbistum Hamburg gedenkt des Hl. Volkers am 8. März, dem Fest aller Heiligen des Erzbistums. Aus den  biographischen Notizen der Eigenfeiern des Stundengebets von 1996, S. 127-128:

"Zu den Helfern des hl. Bischofs Vizelin († 12. 12. 1154) bei der Reorganisierung des Bistums Oldenburg gehörten Volker von Segeberg, der am 7. 3. 1138 gemartert wurde, sowie Rudolf, der am 26. 6. 1147 bei Lübeck auf der Flucht vor den Obotriten starb, und der vormalige Bremer Domdekan Dietmar († 18. 5. 1152). Nachfolger Vizelins wurde  der Schwabe Gerold, der zunächst als Kanoniker in Braunschweig lebte, den Bischofssitz nach Lübeck verlegte und 1163 den ersten Dom von Lübeck weihte († 13. 8. 1163 in Bosau)."


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