Samstag, 29. Januar 2022

Rheinhausen-Hochemmerich Alt-St. Peter (Christuskirche)


Kommt man auf der Bundesstraße 57 von Norden nach (Duisburg-) Rheinhausen (linksrheinisches Ruhrgebiet), fällt auf der linken Seite eine mittelalterliche Kirche auf. Für eine alte Dorfkirche recht groß und hat Mauern im "Durchwachsenen-Speck-Stil", wie es im 15. Jahrhundert chic war. Außerdem ist ihr Chorraum für eine Dorfkirche auffallend lang, so daß man vermuten kann, daß hier vielleicht einst das Chorgestühl eines Stifts oder Klosters stand.



Man kann die Baugeschichte "lesen":






Es handelt sich um die ursprünglich dem heiligen Petrus geweihte, z. Zt. protestantische Christuskirche in Hochemmerich, die wir hier "Alt-St. Peter" nennen, denn in Rheinhausen gibt es auch eine neue, katholische St. Peter-Kirche (siehe "Gemeindebezirk St. Peter"; Bilder unten).


Wir befinden uns an der antiken Straße von Rom nach London, auf der schon der heilige Viktor und die Thebäische Legion (falls es sie gegeben hat) unterwegs waren. Von daher ist es fast erstaunlich, daß hier eine erste Holzkirche "erst" im 8. Jahrhundert nachweisbar ist - ein eher für die rechte Rheinseite übliches Datum.


893 wird eine Kirche im Werdener Urbar verzeichnet. Die heutige Kirche ist im 15. Jahrhundert erbaut. Das Untergeschoß des Turmes stammt noch vom (romanischen?) Vorgängerbau.


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Ein "kurzer chronologischer Überblick" der Christuskirche informiert (Auszug mit Ergänzungen):


Im 8. Jahrhundert wird an der Stelle der heutigen Christuskirche eine kleine Holzkirche errichtet, die spätestens im 9. Jahrhundert in Stein erbaut wird. Im Jahre 893 taucht der Name "Embrikni" (Hochemmerich) im Güterverzeichnis der Abtei Prüm (Eifel) auf. (...) 898 bestätigt (der später heiliggesprochene) König Zwentebold von Lothringen der Abtei Werden an der Ruhr die Schenkung der Kirchdörfer von Friemersheim und Hochemmerich. Dieses Dokument geht zurück auf die sogenannte "Karlsurkunde", in der Karl der Große zwischen 809 und 814 Bischof Hildegrim I. von Münster (den gibt es nicht; vermutlich ist dieser Abt von Werden gemeint) den Königshof von Friemersheim (samt Hochemmerich) schenkt. Bei dieser Urkunde handelt es sich vermutlich um eine Fälschung. 


Die älteste schriftliche Überlieferung einer Kirche in Hochemmerich findet sich im Werdener Urbaren (sic!), wo um 900 ausdrücklich von einer "ecclesia" (Kirche) die Rede ist. Am 1. Juni 1317 wird die Kirche durch (den Kölner) Erzbischof Heinrich II. von Virneburg in die Werdener Abtei inkorporiert. 


Die erste Bautätigkeit an der Kirche wird mit einem Inschriftenstein, der zur Jahrhundertwende noch einen Strebepfeiler des Chores zierte, (für) 1447 oder 1497 belegt. Hierbei wird der Chor neu errichtet und ein südliches Seitenschiff gebaut. Diese Grundsteinlegung könnte durch die Folgen eines schweren Unwetters notwendig geworden sein, das am 11. Juni 1496 "nachmittags um fünf" einsetzt und den Kirchturm (...) zum Einsturz bringt.


Die Anfänge der Reformation in Hochemmerich können für das Jahr 1543 angesetzt werden, als der calvinistisch gesinnte Kaplan Johann in der Gemeinde tätig wird. Der erste protestantische Pfarrer ist Martin Hovius, der 1563 in sein Amt eingeführt wird. 


Spanische Truppen, die 1586 die Grafschaft Moers besetzen, bemächtigen sich der Kirchenglocke. Diese kann der damalige Pfarrer Nikolaus Latomus gegen ein Fass Wein aber zurückerlangen. Obwohl das Kirchengebäude bereits zu dieser Zeit durch die Besatzung erheblichen Schaden nimmt - so wird hier beispielsweise ein Wachhaus eingerichtet -, kommt es zwischen 1640 und 1642 zu noch größeren Zerstörungen. Hessisch-weimarische Truppen rauben die Glocken und verwüsten die Kirche. 


Da die Gemeinde völlig verarmt ist, können grundlegende Renovierungsarbeiten erst 1688 in Angriff genommen werden. Nun wird an der Nordseite ein Seitenschiff angebaut, der Chor mit bunten Fenstern geschmückt (in einer calvinistischen Gemeinde?) und die barocke Kanzel errichtet. Zudem stiftet die Synode zwei neue Glocken. Wahrscheinlich hält nur wenige Jahre später die neue "Weidtmann-Orgel" Einzug in die Kirche.


Am 24. 12. 1740 kommt es im Rheinhausener Raum zu katastrophalen Überschwemmungen, bei denen auch die Hochemmericher Kirche "voll waszer" läuft. Der Weihnachtsgottesdienst muss 1740 darum im Freien abgehalten werden.


Ein heftiger Sturm wirft 1760 die Haube des Turmes ab, der bald darauf wieder errichtet wird und 1789 mit zwei kleinen Anbauten, die als Spritzenhaus und Schule Verwendung finden, erweitert wird. 


1967 und 1968 wird die Christuskirche grundlegend renoviert. Die Empore im Chorraum (!) wird entfernt, im Turmbereich eine neue eingebaut. Die Kirche erhält einen komplett weißen Innenanstrich. In das barocke Orgelgehäuse von Peter Weidtmann wird von der Firma Stahlhut aus Aachen ein neues Orgelwerk mit 20 Registern eingebaut.


2003 wird aus dem (2000 geplanten) Anstrich eine Sanierung und Umgestaltung des Innenraumes im Sinne des ursprünglichen Bauwerks: Sie turmseitige Empore wird wieder entfernt und so der Mitteleingang der Kirche wieder möglich. Die Bänke werden umgestellt, so dass wieder ein Mittelgang entsteht, die Abtrennung des Chorraumes durch die halbhohe Mauer wird entfernt.


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Drei in die Mauern eingelassene Steinkreuze sind rätselhaft und "erzarchaisch":





Das spätmittelalterliche Obergeschoß des Turmes wirkt beinahe klassizistisch:



Natürlich wollte ich die Kirche auch von innen sehen. Das Gemeindebüro vermittelte mich an einen Pfarrer, der an Alt-St. Peter Dienst tut und freundlicherweise zu einem Treffen gleich am nächsten Tag bereit war (Danke!). Hier Bilder aus dem Inneren - wegen des calvinistischen Bekenntnisses gibt es außer der Architektur nicht viel zu sehen:



Der erwähnte lange Chorraum, der, wie gesagt, nach einem Chorgestühl für eine geistliche Gemeinschaft (Stift/Kloster) "schreit", worüber aber nichts zu finden ist - vielleicht hat ja ein reicher Stifter einfach mal etwas spenden wollen. Das Gewölbe mit den breiten Gurtbögen und die Wände ohne "Dienste" (= Säulen, die die Gewölberippen tragen) wirken eher niederheinisch-barock als spätgotisch:




Spätgotisches "Netzgewölbe" in den Seitenschiffen:





Rheinhausen ist als solches erst durch das Stahlwerk von Krupp entstanden und zur Stadt geworden. Krupp ist weg, die "Schönheit" der rationalen Bebauung aber noch erhalten, deren Qualität mit der Zeit abgenommen hat:




Hier geht es zum "Zentrum" von Rheinhausen - auch schön ("Woanders ist auch scheiße"):



Von hier aus geht es nach rechts über die Petristraße (!) zu "Neu-St. Peter", der katholischen Kirche:





An der alten Römerstraße (rechts gehts nach Rom, links nach Londinium). Ob der heilige Viktor hier schon einen Döner gegessen hat, ist nicht überliefert. 



PS. Der erwähnte Pfarrer hat mir erzählt, daß ein Kirchenführer über die Christuskirche / Alt-St. Peter in Bearbeitung ist. Wenn ich neue Informationen erhalte, werde ich diesen Beitrag aktualisieren.


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