Freitag, 12. Juli 2019

Börninghausen St. Ulrici

Zum Gedenken an Pfarrer Wilhelm Beckmann und seine Frau Helga



Heute war ich in Börninghausen im Eggetal. Der Ort liegt im Wiehengebirge, zwischen Osnabrück und Minden, und gehört zur Stadt Preußisch Oldendorf, "preußisch" deshalb, weil es in der Nähe ein anderes Oldendorf gibt, das zum Königreich Hannover gehörte. Wir sind also sehr, sehr weit im Nord-Ost-Westfälischen.




Hier war in den letzten 500 Jahren das Lutherische die tonangebende Art des Christentums. Heute wurde hier der lutherische Pfarrer Wilhelm Beckmann beerdigt, der in Börnighausen fast 38 Jahre Pfarrer war. Niemand war länger hier Pfarrer, sagte der Prediger.


Pfarrer Wilhelm Beckmann war "der römisch-katholischste Protestant", den der Prediger kannte. Er hat über Jahrzehnte zweimal im Jahr ökumenische Begegnungen veranstaltet, zu denen viele katholische Bischöfe und evangelische Würdenträger kamen. Er stellte den Bischöfen, die dort übernachteten, seinen Altar zur Zelebration zur Verfügung - er hatte dazu alles dazu Nötige da und vergaß nicht, dem Zelebranten ein Schildchen hinzulegen: "Nomen episcopi N.". Er sagte wohl mit Recht, daß Börninghausen in Deutschland der Ort sei, der nach Fulda die meisten Bischöfe gesehen habe.


Hier feierte er jeden Sonntag das Altarsakrament, wie er es gerne nannte. Er feierte es so würdig und "katholisch", daß er den katholischen Mitbrüdern in der Umgebung die Gläubigen "abgrub", wie ich hörte. Er war ein eifriger Seelsorger, ein brennender Diener Gottes und der Kirche und ein streitbarer Gottesmann, der natürlich nicht nur Freunde hatte. Der wertschätzungsfreie Nachruf des Superintendenten spricht Bände durch das, was er nicht sagt.


Wilhelm gratulierte seinen Freunden verläßlich am Vorabend der Geburts-, Namens- (, Hochzeits-?) und Weihetage. Er kannte, wie ich vermute, alle Weihetage, Wappen und Wappensprüche der Bischöfe und Weihbischofe bis wenigstens ins Jahr 1700 zurück und von letzteren auch die Titularbistümer... Unglaublich!


Wilhelm Beckmann starb mit 72 Jahren, sieben Jahre nach seiner Pensionierung. Gott war so freundlich, ihn ausgerechnet am 4. Juli, dem Ulrichs- und damit Patronatsfest seiner Kirche, in die Ewigkeit zu rufen - ein himmlisches Friedenszeichen. Zu meinem letzten Namenstag hat er also nicht mehr gratuliert; ich habe es - mea culpa - nicht bemerkt.


Mit diesem Beitrag sei ihm ein dankbares "Denkmal" gesetzt. Er möge ruhen in dem Frieden, an den er in seinem Tiefsten geglaubt, den er innig gefeiert und den er eifrig verkündet hat. Und er möge in dankbarer und gläubiger Erinnerung derer bleiben, die sich an seinem "Glühen" wärmen durften.


Dieses "Denkmal" gilt ebenso seiner Frau Helga, die ihn liebe- und aufopferungsvoll begleitet, gestützt und korrigiert hat (trotz seiner katholisierenden Ansichten) und seinen Kindern und Enkeln.


Die Kirche St. Ulrici Börninghausen wurde in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gegründet; schon aus dem 12. Jahrhundert stammt der als Wehrturm errichtete Glockenturm.



Das kleine Fenster ganz im Osten der Südwand ist ein "Hagioskop", durch das z. B. Leprakranke oder Büßer an der Messe teilnehmen und "das Heilige sehen" konnten, ohne die Kirche zu betreten.



Der im nächsten Bild zu sehende unscheinbare Bau ist das Pfarrheim/Gemeindehaus. Es heißt "Albert-Schweitzer-Haus" und wurde von Pfarrer Beckmann gerne "Albertinum" genannt. Hier fanden bei den ökumenischen Veranstaltungen Vorträge und Begegnungen statt. Ich erinnere mich, wie Wilhelm sogar zum Kaffee ein Tischgebet sprach, was selbst bei härteren Katholiken unüblich ist - lutherische Frömmigkeit.


Hier zogen sich die stets reichlich angereisten protestantischen und katholischen Geistlichen zu den großen Liturgien um, die Wilhelm mit sehr viel Liebe und der ihm eigenen Akribie vorbereitete. Dabei griff er die Sitte der katholischen "Kollegen" seiner Generation auf (er hätte "Mitbrüder" gesagt), immer wieder Erklärungen in den Gottesdienst einzufügen. Man nahm es ihm nicht übel: Es geschah mit Herzblut oder, wie er sagte, "kultischer Glut".


Bei einem ökumenischen Treffen war der damalige Bischof von Trier Reinhard Marx da, der aus dem Erzbistum Paderborn stammt, zu dem Börninghausen katholischerseits gehört. Nach dem Gottesdienst verneigte er sich mit allen Geistlichen zum Kreuz und sprach, sozusagen "ökumenisch": "Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist", was alle artig mit "Wie im Anfang..." respondierten. Dann sprach er das nach katholischen Gottesdiensten übliche: "Gelobt sei Jesus". Die Antwort "In Ewigkeit. Amen" kam natürlich prompt. Danach sagte er: "Maria mit dem Kinde lieb". Und auch hier antworteten die Geistlichen beider Konfessionen, wenn auch etwas verunsichert: "Uns allen deinen Segen gib." Der Bischof drehte sich mit einem verschmitzten Lächeln um und sagte: "O, da sind mir wohl die Pferde durchgegangen."


Bei einem weiteren Treffen dieser Art war der damalige Nuntius des Heiligen Stuhls in Deutschland, Erzbischof Erwin Ender, in Börninghausen. Nachdem Pfarrer Beckmann ihn an der Tür der "Albertinums" verabschiedet hatte, schwebte er förmlich durch die Gänge und sagte mit roten Wangen: "Jetzt kann nur noch der Papst kommen!"



Die Kirche St. Ulrici Börninghausen - sie ist übrigens seit Pfarrer Beckmanns Zeit tagsüber geöffnet:






Patrone der Börninghauser Kirche sind (v.l.n.r) St. Ulrich von Augsburg, St. Sebastian und St. Margareta, die hier an der Südwand des Chores zu sehen sind:



Auf der gegenüberliegenden Nordseite ist der Sakramentsschrank = Tabernakel erhalten (von einem Sakramentshaus oder gar -turm zu sprechen, wäre unangebracht). Es ist doch schön, daß es die Reformation überstanden hat. Heute wird dort das Abendmahlsgerät aufbewahrt. Ausbaufähig... 



Von den wieder freigelegten mittelalterlichen Malereien abgesehen, stammt die Ausstattung der Kirche - vermutlich auch wegen der Verwüstungen im Dreißigjährigen Krieg - im Wesentlichen aus dem 17. Jahrhundert, ist also reformatorisch. Einiges kommt wohl auch aus anderen Kirchen, z. B. das Bild von den vier Evangelisten an der Predella des Altares:


Die hölzerenen Ausstattungsstücke sind alle aus guter (nordost-) westfälischer Eiche.


Hier ein Blick zum erwähnten Hagioskop an der Südwand des Chores, dessen Lage zeigt, daß der Altar früher weiter im Osten stand. Heute steht er in der Mitte des Chores; dahinter befindet sich die hölzerne Sakristei, darüber die Orgel- und Chorbühne.



Die Empore (ebenfalls reformatorisch) zog sich vor der letzten, von Pfarrer Beckmann geleiteten Renovierung auch an der Nordwand (auf dem Bild rechts) entlang. Um den mittelalterlichen, freien Raumeindruck wiederzugewinnen, ließ Pfarrer Beckmann den Nordteil entfernen; die kostbaren Stücke daraus befinden sich jetzt in der Turmhalle (Bild unten).


Die Inschrift an der Emporenbrüstung lautet: "AD DEI GLORIAM ET ECCLESIÆ AUGMENTUM: MENSE MAJO ANNO 1684" - "Zu Gottes Ehre und zum Wachstum der Kirche - Im Monat Mai des Jahres 1684", was ganz in Wilhelms Sinne war.



Fenster an der Nordwand des Schiffes:



Figur des Kirchenpatrons St. Ulrich auf dem nordöstlichen Kapitell des Schiffes: 



Bei der letzten Renovierung hat man im Untergrund im Westen die Reste eines Taufsteinfundaments gefunden, an das seit dem im Kirchenboden erinnert wird:



Schnuckeliges Détail in der Nordwestecke des Schiffes - Zugang zur Empore:



In der Turmhalle steht ein eichenes Gestühl aus der Renaissancezeit, prächtig geschnitzt und mit Namen versehen:




Allegorien der Kardinalstugenden - hier der Glaube - in der Turmhalle, vermutlich von der Brüstung des entfernten Teils der Empore:



Blick aus der Turmhalle in die Kirche - wie gesagt, ist der Turm vor der Kirche als Wehrturm errichtet worden:



Die "Exsequien" für Pfarrer Wilhelm Beckmann wurden heute nur in der Trauerhalle und auf dem Friedhof in recht kleinem Kreis gehalten, aber immerhin mit Posaunenchor. Er hat es sich anders gewünscht. Es gab wahrscheinlich Gründe, es so zu tun, die mir aber nicht bekannt sind.


Die Trauerhalle ist nicht weiter erwähnenswert; ein recht schlichter, durchaus geschmackvoller Bau aus den 1960/70ern (geschätzt). Auch hier hat Pfarrer Beckmann Spuren hinterlassen, die für sein Wirken sprechen.


Zunächst bin ich auf ein Faldistorium gestoßen, das, wenn ich mich recht erinnere, früher als Pastorensitz in der Kirche diente, bis Stifter es möglich machten, diesen durch einen prächtigeren im romanischen Stil zu ersetzen. Dieser neue Sitz ist übrigens nach der Pensionierung von Pfarrer Beckmann wieder aus der Kirche entfernt worden.



Den Ausgang von der Trauerhalle zum Friedhof, durch den die Toten zum Grab getragen werden, hat Pfarrer Beckmann in seinen letzten Amtsjahren neu verglasen und dabei den Text des "In paradisum" sowie Embleme von (u.a. für den Ort bedeutsamen) Heiligen einfügen lassen:






Die zu seiner Beerdigung aufgestellte Osterkerze von 2006 zeigt seinen Stil und sein Streben ebenso...



... wie der barocke Auferstandene, der in der nüchternen Trauerhalle werbend, aber doch etwas verloren das Leben tanzt:



Auch in die letzten Amtsjahre von Pfarrer Beckmann fällt die Errichtung dieses Glockenträgers und vor allem der Guß der sich darin befindenden Erlöser- und Friedensglocke aus dem Jahr 2000: 




"In memoriam atque ad honorem Guilhelmi" folgt der Text des von ihm gedichteten "Börninghausener Friedens- und Patronatsliedes" - zu singen auf die Melodie "Sei gegrüßet, o Libori":


Gott, erhalte uns den Frieden

und laß uns auch schon hienieden

spüren deine Herrlichkeit.

Laß uns mit den Vätern glauben,

dir allein wie Ulrich trauen

auf dem Weg durch diese Zeit.


O Herr Christus, sieh uns beten 

und aus allen unsern Nöten 

flehn zu dir mit Zuversicht. 

Leib und Leben uns behüte, 

Kranken hilf in deiner Güte, 

und im Tod verlaß uns nicht.


Heil’ger Geist, nun gib dein Brausen 

für uns hier in Börninghausen.

Laß die Kirche fest bestehn.

Ulrich, Sebastian, Margarete,

stets als Beispiel vor uns trete, 

daß wir niemals irre gehn.


Nachtrag:

Wilhelms Frau Helga Beckmann ist nach längerer, tapfer getragener Krankheit zwei Monate nach ihm, am 3. September 2019 von Gott heimgerufen worden. Daß es am Tag des heiligen Papstes Gregor des Großen geschah, wird für sie wenig Bedeutung gehabt haben, aber ganz in Wilhelms Sinn sein.


"Zufällig" erreichte mich die Nachricht vom Tod dieser taffen, warmherzigen und tapferen Pfarrfrau auf dem Rückweg aus Norddeutschland, so daß ich an ihrem Sterbetag das Grab ihres Mannes besuchen und dort die Vesper vom heiligen Gregor beten konnte. Deo gratias!

2 Kommentare:

E. hat gesagt…

Vielen Dank für diesen aufschlussreichen Nachruf. Die Frage ist nur, was hat Pfarrer Beckmann für die Gemeinde und das Dorf gebracht? Ich war früher, als meine Kinder noch klein waren, öfters in Börninghausen in Ferien. Wenn ich mich damals gefragt habe, ob ich dort leben könnte, habe ich gemerkt, dass die Kirche dort für junge Familien nichts bietet, keine Mutter-Kind-gruppe,keinen Kindergottesdienst,nichts. Schade.

Philipp Melanchthon hat gesagt…

Nehmt die Kinder ernst, schafft die Kindergottesdienste ab!