(Der Name der Stadt hat etwas mit "Schwellen" zu tun und man spricht ihn nicht "Tswolle" aus, sondern schürzt die Lippen wie bei "sch" und spricht ein stimmhaftes, weiches "s" dazu, dann folgt ein ebenso gesprochenes, intensives "w" - es darf einem deutsch Sprechenden gerne etwas lustvoll vorkommen.)
Schon vor vielen Jahren war ich auf die Stadt aufmerksam geworden, als ich las, es gebe dort in der katholischen Marienbasilika einen gekachelten Chor.
Es folgt ein Spaziergang durch die Stadt, die übrigens als Standort gleich dreier theologischen und einer künstlerischen Hochschule jung und lebendig ist.
Ein altes Fischerhaus mit niedrigem Klofenster:
Ehemaliges Klostergebäude Dominikanerkonvents an der Brüderkirche:
Plantagekirche, "gereformeerde", d. h. altreformierte Kirche, errichtet 1874 an einer Stelle, wo man die alte Stadtbefestigung durch einen Park ersetzt hatte:
Die Synagoge, eingeweiht 1899:
An der Fassade wird ein Bibelvers in hebräischer Schrift geboten. Der biblische Verweis erfolgt für die (calvinistischen, also bibelfesten) Heiden in lateinischer Schrift. (Selber nachsehen!)
Dies ist die wallonisch-prostestantische Kirche, also das Gotteshaus der aus den katholischen südlichen (Belgien und Luxemburg) in die nördlichen Niederlande geflohenen Protestanten französischer Zunge, in der bis heute protestantische Gottesdienste in französischer Sprache stattfinden:
In Zwolle gibt es nicht nur ein Sachsentor (Sassenpoort) und eine Sachsenstraße (Sassenstraat), sondern auch der Ortsdialekt ist (nieder-)sächsisch = westfälisch.
Das Museum "De Fundatie" hat hier einen seiner beiden Standorte. Hier ist es in einem ehemaligen Gerichtsgebäude aus dem 19. Jahrhundert eingerichtet worden, das bei einem Umbau 2012/13 um eine "Wolke" ergänzt wurde. Davor sieht man die Lutherische Kirche.
Von Osten, durch die Sachsenstraße (sassenstraat) kommend, ein Blick auf die drei Chöre von St. Michael:
Warum die Straße an der Ostseite von St. Michael "Kurzer Atemholsteig" heißt, habe ich nicht herausgefunden. Vielleicht gingen hier die zum Tode Verurteilten ihren letzten Gang.
Am Großen Markt von Zwolle: Links die z. Zt. protestantische "Grote Kerk" St. Michael, rechts der Turm der wieder katholischen Marienbasilika:
Aber zunächst zurück zum Stadtumgang. Hier die "Brüderkirche" der Dominikaner, die hier 1465 einen Konvent gegründet haben. Die Kirche ist heute eine Buchhandlung.
Direkt über dem südlichen Haupteingang ein Bild des göttlichen Schmerzensmanns...
Und jetzt kommt's sehr niederländisch-modern-praktisch: Nicht nur Grabplatten der ehemaligen Kirche sind erhalten und sichtbar, sondern auch ein Grab mit menschlichen Gebeinen:
Zurück zur Mitte, zu St. Michael, der Hauptkirche:
Ein für ein Leitersuchspiel als Tiger verkleideter Gruppenleiter bei der modernen Michaelsfigur auf dem Großen Markt:
Spiel aus Ziegel- und Sandstein:
Die "grote kerk" St. Michael geht auf eine Gründung im Jahr 765 zurück. Wie man am heutigen Bau sieht, hat die Hanse ordentlich Geld in die Kassen der Bürgerschaft gespült. Das Gotteshaus ist im 16. Jahrhundert unter dem üblichen Bildersturm von den niederländisch Reformierten übernommen worden. Heute ist sie "irgendwie noch" eine reformierte Kirche, firmiert aber unter "academiehuis":
Konsistorienkammer:
Bei der Einführung der Reformation hat man die Kirche wie üblich aller Altäre, sakralen Gegenstände, Heiligenbilder und sonst auch allen Schmucks beraubt, den Altarraum geschlossen und ein "liturgisches Zentrum" (= Kanzel, Bänke und sonst nichts) im Süden des Mittelschiffs eingerichtet:
Über dem Eingang zum Chor ist - offenkundig nach der Reformation gemalt - der heilige Erzengel Michael als Patron von Kirche und Stadt präsent geblieben:
Auf zur katholischen Basilika Unserer Lieben Frau! Sie wurde Ende des 14. Jahrhunderts erbaut, während der "Reformation" profaniert und diente danach weltlichen Zwecken, bis sie nach der Wiederaufrichtung der (katholisch) kirchlichen Hierarchie 1809 den Katholken wieder übergeben wurde. Es folgte eine kirchliche Neuausstattung, die bis heute - einschließlich der eingangs erwähnten Kacheln im Chorraum - erhalten ist.
Kurze Geschichte der "Onze Lieve Vrouwebasiliek":
1393: Stiftung seines Hauses und Grundbesitzes durch den Schöffen Gerardus van Spoelde an den Stadtrat, der eine Marienkapelle errichten ließ.
1394: Nach dem Tod von Gerardus van Spoelde verkaufte der Stadtrat das Grundstück samt Kapelle und errichtete mit dem Ertrag eine Kapelle am heutigen Standort der Kirche auf dem "Hof van Zwolle", dem Ossenmarkt (Ochsenmarkt).
1394-1417: Erste Bauphase: Hochchor, Querhaus und erstes Joch des Langhauses.
1399: Anläßlich einer Pestepidemie 1398 wird die sich im Bau befindliche Kapelle am 26. November 1399 dem Pest-Patron St. Antonius geweiht. Eine Wallfahrt entsteht. Die Kapelle befand sich dort, wo heute der Hochchor steht.
1452- 1454: Zweite Bauphase: Langhaus mit Westgiebel vollendet; in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts widmet man sich der Ausstattung der Kirche.
1463-1481: Dritte Bauphase: Turmbau. Der Guß der sechs Glocken erfolgt 1484 durch Gerard van Wou, von denen eine, die Marienglocke, erhalten ist.
1498: Gründung der Bruderschaft "Onser Liver Vrowen" als Kirchenchor.
1566 und 1578: Die Kirche wird von Protestanten besetzt.
1580: Am Fest des heiligen Veit (15. Juni) predigt der katholische Pastor Hendricus Focking hier ein letztes mal - über Lk 21, 9. Er wurde danach aus der Stadt verbannt, und die Kirche wurde Opfer eines protestantischen Bildersturms. Das Inventar wurde vollständig vernichtet, wobei die Marienkapelle bemerkenswerterweise verschont blieb und bis 1591 von den Katholiken genutzt wurde. Danach diente die Kirche nicht mehr für Gottesdienste, verwahrloste und wurde für profane Zwecke genutzt, u. a. für Zirkusveranstaltungen, militärische Zwecke u.a.. Für Heuwagen wurde in das Nordquerhaus ein Tor eingebaut. Auch für Obdachlose wurde hier eine Unterkunft eingerichtet. 1719-1721 diente die Kirche als Werkstadt für den Bau der neuen Orgel für St. Michael (s.o.). 1786 haben sie Zimmermänner für ihre Arbeit am neuen Rathaus von Genemuiden genutzt. Und so ging es weiter.
1590: Der katholische Gottesdienst wird verboten. Die Kirche geht in den Untergrund. Die Quellen belegen für das Jahr 1631 eine "Schuilkerk" (verborgene Kirche), von der aus eine geregelte katholische Seelsorge stattfand.
1672-74: Münstersche Truppen erobern die Stadt. Die Protestanten bekommen die Liebfrauenkirche zugewiesen, während den Katholiken St. Michael, die Große Kirche, zurückbekommen.
1809: König Ludwig Napoleon gibt die Liebfrauenkirche am 4. März den Katholiken zurück. Der Turm wird dem Stadtrat übergeben. Die Kirche wird neu (katholisch) ausgestattet. Seitdem ist die Kirche wieder ein römisch-katholisches Gotteshaus.
1870-1900: Anbau von zwei Seitenschiffen für Prozessionen, neugotische Ausstattung.
1976-81: Durchgreifende Restaurierung, Abbruch der Seitenschiffe.
1999: Erhebung zur basilica minor durch Papst Johannes Paul II. anläßlich ihres 600-jährigen Bestehens.
2006: An Pfingsten werden die Reliquien des heiligen Thomas von Kempen aus der kath. Pfarrkirche St. Michael, die geschlossen wurde, hierher übertragen.
Neugotik as ist can:
Die Kacheln können was:
Die Pfarrei Zwolle pilgert in jedem Jahr nach Kevelaer. Da eine Basilika ein Tintinnabulum braucht, hat man in das von Zwolle das Bild der Trösterin der Betrübten von Kevelaer eingefügt:
Weitere Bilder aus der Basilika
Sphärisches Ziegelspiel:
Ehemaliges Tabakgeschäft im Jugendstil:
Übersicht über die auf diesem Blog dargestellten Orte
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